Schwein und Hund auf der Anklagebank
Ferdinand Leuxner, Historiker und Kurator der Ausstellung im Stadtmuseum, spricht im RP-Interview über „Prozesse gegen Tiere im Mittelalter“
Die neue Ausstellung im KSM scheint ein breites Spektrum an Beziehungen zwischen Menschen und Tieren zu behandeln. Wenn man den Untertitel richtig deutet, geht es um Tiere „vom Rheinwal bis zum Nachbarshund“ ?
Leuxner: Die Ausstellung soll einen Einblick geben, wie lange Menschen und Tiere in Duisburg und am Niederrhein schon zusammen leben. Welche Geschichte sie miteinander teilen. Bei der Einarbeitung in die Themen wurde schnell deutlich, dass Tiere für den Menschen eigentlich alles sein konnten. In der Ausstellung sind Tiere als Helden, Vorbilder, Sündenböcke, Gefährten und sogar Angeklagte vertreten.
Wenn Sie von Angeklagten sprechen, kommen wir gleich zur Sache. Konnten Tiere im Mittelalter tatsächlich vor Gericht gestellt werden?
Leuxner: In der Tat gab es im Mittelalter Fälle, in denen Tiere vor Gericht gestellt wurden. Im Sachsenspiegel, dem Rechtsbuch aus dem 13. Jahrhundert, ist festgehalten, dass auch Tiere bestraft werden können. Den heutigen Rechtsbegriff der Tierhalterhaftung für Schäden, die ein Tier verursacht hat, gab es damals noch nicht.
Das klingt merkwürdig. Welche Vergehen der Tiere konnten zu solchen Prozessen führen?
Leuxner: Schweine und streunende Metzgerhunde verletzten oder töteten Kinder, da lag es nahe, dem Tier die Schuld zu geben. Verhandelt wurde sowohl vor geistlichen als auch weltlichen Gerichten. Die Delikte der Tiere reichten von vermeintlichen Diebstählen, Sachbeschädigungen, unterlassene Hilfeleistung bis hin zu tatsächlichen Angriffen auf Menschen. Die Prozesse wurden dabei mit Richtern, geregelter Strafgesetzordnung und Verteidigern auf der einen Seite – und Schweinen, Hühnern, Katzen oder Hunden auf der Anklagebank durchgezogen. Bei Insektenplagen wurden sogar Heuschrecken oder Mücken verurteilt.
Wie liefen diese Prozesse ab? Gab es Anwälte für die Tiere?
Leuxner: Ja, es gab tatsächlich Richter und Anwälte, die bissige Hunde oder schubsende Kühe in diesen Prozessen vertraten. Diese Anwälte haben im Namen der Tiere argumentiert und versucht, ihre Unschuld oder mildernde Umstände darzulegen. Es gab aber auch Fälle, in denen Tiere für schuldig befunden und entsprechend bestraft wurden.
Welche Strafen konnten Tiere im Falle einer Verurteilung erhalten?
Leuxner: In Basel landete 1474 ein Hahn auf dem Scheiterhaufen, weil er ein Ei gelegt hatte. In England wurde ein Schwein gehängt, weil es ein Kind getötet hatte. Bewachten Hunde das Haus nicht ausreichend oder griffen bei einem Angriff nicht ein, wurden sie wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt. In Jülich flochten einige Gerichte 1582 ein Schwein aufs Rad – in der Hoffnung, es möge anderen „zum abscheulichen Exempel dienen“. Das Schwein hatte eine geweihte Oblate gefressen.
Das klingt brutal und kurios zugleich. Wann hat sich diese Rechtsauffassung geändert?
Leuxner: Im 17. Jahrhundert gab es durchaus erste juristische Bedenken. Tierprozesse waren problematisch – Tiere seien schließlich nicht vernunftbegabt. Sie wurden weiterhin in Anlehnung an das antike römische Recht juristisch als Sachen behandelt, der Tierschutzgedanke und Tierwohl kam erst viel später auf.
Wie steht die moderne Rechtswissenschaft zu diesen historischen Prozessen gegen Tiere?
Leuxner: Wir haben uns von solchen Praktiken distanziert und betrachten Tiere eher als Rechtssubjekte. Bis heute gilt zivilrechtlich im Tierschutzgesetz die Einschränkung, dass einem Tier „nicht ohne vernünftigen Grund“ Leiden zugefügt werden darf. Wir sollten uns bewusst sein, dass trotz der Rechtsentwicklung Massentierhaltung oft unnötige Qualen verursacht. Tiere stehen auf unsere Speisekarte, da verdrängt man gerne, dass Schweine, Rinder, Fische u.v.a. leidensfähige Lebewesen sind. Ganz anders sieht es bei geliebten Welpen, Kätzchen und Pferden aus – unsere Beziehung zum Tier ist nach wie vor von kulturellen und religiösen Haltungen geprägt.
Vielen Dank für diesen Einblick in die Rechtsgeschichte und das schwierige Beziehungsgeflecht zwischen Mensch und Tier.
Harald Küst stellte die Fragen. Das Interview erscheint in der Rheinischen Post
Tipp: Die neue Ausstellung im Stadtmuseum geht bis zum 14. Juli 2024:
Tierische Typen. Animalische Biografien vom Rheinwal bis zum Nachbarshund