Das napoleonische Duisburg – Eine Zeit der Unterdrückung oder Freiheit?
Napoleon Bonaparte ist bis heute eine umstrittene Persönlichkeit der europäischen Geschichte. Er gilt einerseits als Kriegstreiber und Tyrann, der unter anderem die die Sklaverei in Frankreich wieder einführen ließ, nachdem die Revolution sie abgeschafft hatte. Andererseits setzte er den Code Civil, bzw. den Code Napoléon als erstes, bürgerliches Gesetzbuch nicht nur in Frankreich, sondern auch in seinen eroberten Gebieten ein. Mit ihm bekamen die Bürger erstmals persönliche Freiheiten, Gleichheit vor dem Gesetz und viele andere Rechte. Auch in den Verwaltungsstrukturen der neu eroberten Regionen ließ er vieles umorganisieren. Diese Veränderungen wirken sich teilweise bis heute aus – auch in Duisburg. So wurde beispielsweise das damals noch zu Moers gehörende Kaßlerfeld an Duisburg angegliedert. Doch was bedeutete die napoleonische Besetzung für Duisburg und die Stadtbevölkerung? Kamen mit Napoleon und dem Code Civil tatsächlich Freiheiten für die Bürgerinnen und Bürger oder litten sie eher unter der Besatzung und der Beteiligung an der napoleonischen Kriegspolitik?
Neue Gebietsstrukturen unter französischer Herrschaft
Mit dem Frieden von Lunéville 1801 wurde der Rhein als neue Grenze Frankreichs gesetzt. Dies führte in Duisburg dazu, dass das linksrheinische Duisburg französisch wurde, während 1805 das rechtsrheinische Duisburg dem Großherzogtum Berg untergeordnet wurde. Doch faktisch waren die heutigen Gebiete der Stadt schon ab 1795 in französischer Hand. Also bereits vier Jahre bevor Napoleon in Frankreich mithilfe eines Staatsstreiches am 9. November 1799 die Herrschaft übernahm. Unter napoleonischer Herrschaft wurde das rechtsrheinische Duisburg neu gegliedert. Duisburg war ein eigener Kanton, welcher zum Arrondissement Essen im Département Rhein gehörte, und unter anderem Meiderich, Ruhrort und Mühlheim umfasste. Bis dahin waren all diese Gebiete eigenständig von Duisburg gewesen. Somit wurden neben Kaßlerfeld auch Ruhrort und Meiderich erstmalig Duisburger Stadtgebiet.
Duisburg und die Französische Revolution
Es war nicht unüblich, dass viele Bürgerinnen und Bürger in Napoleon und noch viel mehr in der Französischen Revolution eine Art Befreiung von dem alten System gesehen haben. Doch der kriegerische Weg, den der französische Kaiser wählte, spaltete die Gemüter. Auch in Duisburg schien es keine einheitliche Meinung über Napoleon und die Revolution zu geben.
Im Zuge der Revolution flohen viele Adlige und Mitglieder der höheren Stände aus Frankreich, um den Auswirkungen der Revolution zu entkommen. So beherbergte auch Duisburg in den 1790ern einige französische Adelsfamilien. Die Duisburger Bevölkerung nahm diese Gäste aufgrund ihres Verhaltens als arrogant wahr. So verschmähten sie beispielsweise das „Duisburger Schwarzbrot“. Als Angehörige des Adels standen die französischen Migranten sinnbildlich für das „alte“ System der Leibeigenschaft, welche bereits seit Jahrzehnten eine schwindende Rolle für Duisburg spielte.
Warum sich Napoleon unbeliebt machte
Wirtschaftlich befand sich Duisburg schon seit dem 18. Jahrhundert im Aufschwung. Von großer Bedeutung waren hier bereits damals das Schifffahrtswesen und der Handel mit den Niederlanden. Auch Tabak- und Textilfabriken begünstigten diesen Aufschwung. Die Kontinentalsperre Napoleons zur Schwächung des Vereinigten Königreiches umfasste nicht nur die britischen Inseln, sondern auch die Kolonien Englands. Die Kontinentalsperre sah vor, den Überseehandel mit dem Vereinigten Königreich und all seinen Kolonien zu untersagen. Wirtschaftlich hatte dies jedoch negative Folgen, insbesondere für die eroberten Gebiete, denn Luxusgüter wie zum Beispiel Tabak kamen aus eben jenen Kolonien. Duisburgs wirtschaftlicher Aufschwung geriet ins Stocken. Hinzu kam auch noch die Belastung durch die ständig durchmarschierenden Truppen der Franzosen, die von den Bürgerinnen und Bürgern versorgt werden mussten.
Conrad Arnold Böninger, Besitzer einer Tabakfabrik in Duisburg, hatte während der napoleonischen Zeit ein dermaßen großes Ansehen, dass Napoleon höchstpersönlich bei seinem Aufenthalt im November 1811 in Duisburg eine Einladung Böningers zum Frühstück annahm. Während dieses Frühstücks nutzten viele Bürgerinnen und Bürger die Gelegenheit, ihren Unmut über die wirtschaftliche Lage kundzutun. Napoleon soll sich die Beschwerden „wohlwollend“ angehört haben, doch letztlich änderte er nichts an den Zuständen. Auch Duisburg litt unter den Repressionen des Kaisers und war indirekt von den Kriegen und der Kontinentalsperre betroffen. Napoleons Grande Armée bestand zwar zum großen Teil aus Franzosen, aber auch aus Soldaten des Rheinbundes. Duisburger wurden unter anderem im Russlandfeldzug eingesetzt oder mussten bei Dresden mitkämpfen. Die Grande Armée war keineswegs nur eine Freiwilligenarmee. Viele der Soldaten wurden zwangsrekrutiert. Fahnenflucht wurde hart mit Sippenhaft bestraft. So kam es in Duisburg zu Verhaftungen von Eltern oder Ehefrauen fahnenflüchtiger Rekruten.
Napoleon erhöhte bereits vorhandene Steuern und führte neue ein. Französisch wurde zur Amtssprache erklärt und sollte sogar zur Umgangssprache werden.
Die Wahrnehmung Frankreichs, der Revolution und Napoleons um das Jahr 1800 war in Duisburg nicht einheitlich. Spätestens mit dem gescheiterten Russlandfeldzug 1812 wurde die sinkende Beliebtheit Napoleons offensichtlich. Im Frühjahr 1813 erreichte die Nachricht des gescheiterten Feldzuges auch die Duisburger Gebiete. Als Reaktion auf weitere Rekrutierungen, trotz dieser Niederlage, verweigerten viele Leute den Dienst und es kam sogar zu einem größeren Tumult. Dieser Aufruhr blieb folgenlos, denn die französischen Behörden erlangten schnell wieder die Kontrolle. Jedoch zeigt dies den wachsenden Unmut und den zunehmenden Willen zur Gegenwehr. Noch viel deutlicher zeigte sich dies durch den freudigen Empfang russischer Kosaken als Befreier Duisburgs, die nach der Schlacht bei Leipzig das französische Heer bis in das Ruhrgebiet und darüber hinaus verfolgten.
Ein hoher Preis
Der Code Napoléon, der erst 1900 vom noch heute gültigen Bürgerlichen Gesetzbuch abgelöst wurde, bescherte den Duisburgern neue Rechte. Außerdem vergrößerten die Franzosen das Stadtgebiet Duisburgs und somit auch dessen Bedeutung. Trotzdem verspürte die Bevölkerung nur eine geringe Freude über den französischen Kaiser. Schließlich diente auch Duisburg lediglich als eine weitere Ressource für Napoleons Kriege. Und für die wenigen „Vorteile“ der napoleonischen Herrschaft zahlten die Stadt und viele weitere Gemeinden der von ihm eroberten Gebiete einen hohen Preis: Insgesamt forderten die Napoleonischen Kriege mehr als 3,5 Millionen Tote.
Matthias Wehner