Magazinfunde: Das verborgene Wandgemälde
Das verdeckte Wandbild im Duisburger Hauptbahnhof weckt Erinnerungen. Im Depot des Stadtmuseums befindet sich der farbige Entwurf des Künstlers Otto Gerster
Magazine bergen oft unbekannte Schätze. Im Kultur- und Stadthistorischen Museum schlummert ein Gemälde, hinter dem sich eine spannende Geschichte unserer Stadt verbirgt. Es zeigt einenBinnenschiffer am Steuerrad vor stilisierten Hafen- und Industrieanlagen und wurde 1950 von dem Künstler Otto H. Gerster gemalt. Ihn kennen nur wenige Duisburger, aber das Bild weckt bei vielen Erinnerungen. Schließlich zierte es von 1950 bis 1962, also mitten im Wirtschaftswunder, als großes Wandgemälde die hohe Halle des Duisburger Hauptbahnhofs. Hunderttausenden von Bahnreisenden präsentierte das 10 mal 18 Meter große Monumentalgemälde die geballte Wirtschaftskraft mit Binnenhafen, Kohle- und Stahlumschlag. Auf alten Fotos ist das Wandbild meist nur in Schwarz-Weiß zu sehen. Umso überraschender ist es, dass das kleinformatige Gemälde aus dem Magazin die Farbgebung des Künstlers Otto H. Gerster in beeindruckender Qualität zeigt. Für das Stadtmuseum handelt es sich um ein besonders erhaltenswertes Gemälde, wie die Kunsthistorikerin Kai Ricarda Reinhoff, wissenschaftliche Volontärin am Stadtmuseum, erläutert: „Entwürfe für monumentale Wandmalereiarbeiten sind erstmal nichts Außergewöhnliches. Was aber den Entwurf des Wandgemäldes von Otto H. Gerster in unserer Sammlung so wertvoll macht, ist, dass es eine authentischere Zugänglichkeit durch seine Farbigkeit und Technik zum Original ermöglicht als es die wenigen erhaltenen schwarz-weiß-Fotografien hergeben. Der Entwurf gibt einem die Chance, sich das verborgene Wandgemälde in einem kleinerem Format anschauen zu können.“
Doch wie kam der Bildentwurf für das Wandbild im Duisburger Hauptbahnhof zustande? Die Spurensuche führt zu zwei Vorgängergemälden an der Stirnseite der Eingangshalle. Ludwig Gies (1887–1966) hatte 1935 das erste Wandbild mit einem Binnenschiff geschaffen. In der NS-Zeit war Ludwig Gies jedoch unerwünscht und der völkische Künstler Cornelius Wagner übermalte das ursprüngliches Bild. Durch den Bombenkrieg wurden beide Wandbilder stark beschädigt. Zunächst gab es Überlegungen, das Originalbild von Gies wiederherzustellen, was sich jedoch aufgrund der Kriegsschäden als nicht durchführbar erwies.
Der damalige Oberbürgermeister Seeling machte die Neugestaltung zur Chefsache. Dafür wurde Ludwig Gies als Berater hinzugezogen, da es innerhalb der Stadtverwaltung unterschiedliche Auffassungen über die Ausführung gab. Das Bildmotiv sollte Duisburg wieder als aufstrebende, dynamische Industriestadt zeigen. Neben Oberbürgermeister Seeling war der damalige städtische Baudirektor Siegfried von Tiling maßgeblich an der Auftragsvergabe beteiligt. Im Laufe der Diskussion hatte sich der Künstler Otto H. Gerster als geeigneter Maler empfohlen. Er war für seine großformatigen Gemälde und die zeittypische „monumentale Gestaltung“ von Ausstellungs- und Messehallen bekannt und hatte nach dem Krieg seine Lehrtätigkeit an den Kölner Werkschulen wieder aufgenommen.
Otto H. Gerster legte den Entwurf vor, der bei den Entscheidungsträgern der Stadt Zustimmung fand und 1950 an der Stirnseite der Bahnhofshalle realisiert wurde. Bis 1962 war Gersters Bild zu sehen. Dann verschwand es im Dunkel hinter einer abgehängten Decke. Nachdem 2009 diese Decke wieder entfernt worden war, war für kurze Zeit Gersters Wandbild zu sehen, ehe es nach einer Restaurierung hinter einer weißen Wand erneut verschwand.
Der damalige Bildentwurf aus dem Jahr 1950, der heute im Stadtmuseum aufbewahrt wird, macht nicht nur die Erinnerung vieler Bahnreisenden wieder sichtbar. Kai Ricarda Reinhoff wird sich in den nächsten Monaten der Kunst im öffentlichen Raum widmen und in diesem Zusammenhang auch das Wandgemälde von Gerster weiter erforschen.
Otto Gerster
Otto Gerster studierte Ende der 1920er Jahre Malerei und Grafik an der Charlottenburger-Akademie. Er verdiente bald seinen Lebensunterhalt als freier Künstler. 1939 wurde er nach Köln berufen, um die Klasse für Monumental- und Wandmalerei zu übernehmen. Bald zur Wehrmacht eingezogen, trat er seine Lehrtätigkeit dann nach Kriegsende 1946 an den wieder eröffneten Kölner Werkschulen an und führte bis zu seiner Emeritierung 1972 als Professor eine Meisterklasse für freie and angewandte Malerei. Sein Credo lautete: „Ob kleinformatig oder übergroß, ob gegenständlich oder abstrakt oder beides, bleibt sich gleich, den Ausschlag gibt nur die Qualität“.
zum Weiterlesen
- Otto H. Gerster (1907–1982): Gebrauchsgraphik (Memento vom 18. Oktober 2017 im Internet Archive)
- Pınar Abut: Kunst im Duisburger Hauptbahnhof. Historisches Wandbild aufgetaucht (Memento vom 6. September 2009 im Internet Archive).
- https://loko-motive.de/25-duisburg-hbf
- https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/1063034
Harald Küst, zuerst erschienen in der Rheinischen Post vom 8. Januar 2024