Gescheiterter Beutezug der Wikinger
Raubzüge und Sklavenhandel gehörten zum Geschäftsmodell der Wikinger. Der Plan, über Duisburg in das ostfränkische Gebiet einzufallen, scheiterte.
Duisburger Geschichten und Geschichte. Teil 3.
Schon in den nordischen Sagen begann die Verklärung der Vorgeschichte zu einer Zeit der kühnen Helden. Das Klischee vom gehörnten Wikingerkämpfer stammt dagegen aus der Uraufführung von Wagners „Ring des Nibelungen“ aus dem Jahr 1876. Archäologen kennen die Fakten: Die Wikinger hatten halbrunde oder konische Helme, die nach oben hin spitz zuliefen – damit gegnerische Hiebe daran abgleiten. Falsch ist ebenfalls das Bild vom blonden, blauäugigen Skandinavier. Neue DNA-Analysen deuten auf einen Genfluss aus ganz Europa hin. Das globale Handelsnetz führte zu einer Vermischung mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Einig sind sich die Forscher, dass die Wikinger geniale Bootsbauer waren. Mit dem geringen Tiefgang ihrer schnellen und wendigen Boote konnten sie auch auf Flüssen operieren, sie sogar wegen ihrer Leichtigkeit über Land ziehen. Diese Beweglichkeit nutzten sie für ihre Raubzüge. 881 hatten sie Utrecht, die Pfalz in Nimwegen, Neuss, Jülich und Köln, Aachen und Bonn sowie die Klöster Cornelimünster und Stablo geplündert und niedergebrannt. 882 folgten Zutphen und Deventer in den Niederlanden, Trier und das Kloster Prüm. Das Geschäftsmodell der gewaltbereiten Wikinger lautete: Raub, Lösegelderpressung und Sklavenhandel. Mit der Breitaxt und Schwertern erschlugen sie Mönche und Bauern, schändeten Frauen und verschleppten sie und ihre Kinder in die Sklaverei. Die offene Feldschlacht scheuten sie. Meist waren es wehrlose Abteien und Klöster, die von den Mordgesellen heimgesucht wurden. Unersetzliche Reliquien und kostbare Kirchenschätze wurden geraubt, so die zeitgenössischen Berichte.
Um dem skrupellosen Treiben der Wikinger Einhalt zu gebieten, zeigte sich Kaiser Karl III. – Beiname „der Dicke“ – verhandlungsbereit. Der scheinheilige Treueschwur des Wikingerkönigs Godefrieds und Zugeständnisse Karls verschafften dem Reich nur eine kurzzeitige Atempause Godefried billigte weiter Eroberungszüge seiner Kämpfer, die prompt im Jahr 883 Duisburg ins Visier nahmen. Der Überfall auf die bedeutende Handelssiedlung verlief nach bewährtem Muster. Wer Widerstand leistete, wurde niedergemetzelt. Tote konnten von Angehörigen nur notdürftig begraben werden. Das belegen die Skelettfunde oberhalb des Alten Marktes, an der Schwanenstraße und vor der Marienkirche. Aus der Sicht der Wikinger diente Duisburg nur als Einfallstor. Ihr eigentliches Ziel waren das Reichsstift Essen und die berühmte Abtei in Werden. Hier lockten reiche Beute und hochrangige Geiseln für Lösegelderpressungen. Der Plan der Wikinger ging allerdings nicht auf, denn der ostfränkische Herzog Heinrich hatte östlich von Duisburg im heutigen Mülheim-Broich Truppen gesammelt, um die geplanten Plünderzügen ruhraufwärts zu verhindern. Die Wikinger sahen sich wegen des Abwehrblocks gezwungen, in Duisburg zu überwintern. Genügend Lebensmittelvorräte waren vorhanden. Als die ostfränkischen Truppen im Frühjahr zum Gegenstoß ansetzten, verschwanden die Nordmänner wieder über den Rhein. Zuvor verbrannten sie ihr Winterlager. Zurück ließen sie ein von Brandschatzung zerstörtes Duisburg, das nach dem Abzug wieder zur Kaiserpfalz aufgebaut werden konnte. Doch der Wikingerkönig Godefried drohte bereits im Jahr 885 erneut in das ostfränkische Gebiet einzufallen. Karl III. zeigte sich allerdings nur scheinbar gesprächsbereit. Bei den nur vorgeschobenen Verhandlungen wurde Godefried von Karls Abgesandten im gleichen Jahre liquidiert. Ein politischer Mord. Doch das Ansehen Karls III. im Reich war bereits zuvor beschädigt. Er galt als weich, führungssschwach und kränklich. Sein Neffe, Arnulf von Kärnten, wurde zum Nachfolger gewählt.
Erst 891 konnte Westeuropa endlich aufatmen, als Arnulf von Kärnten im heutigen Belgien den Wikinger die wohl größte Niederlage in einer Landschlacht bereitete – die Krieger zogen sich zurück und drangen nicht mehr in das Kernland des Frankenreiches vor. Den später entstandenen nordischen Mythen tat das keinen Abbruch: Den tapfersten der im Kampfe gefallenen Krieger winkte die Ehre, in der Walhall an Odins Tafel zusammenzusitzen und mit dem Gott des Krieges zu speisen.
Von Harald Küst, Rheinische Post vom 21. November 2022
Zum Weiterlesen: Krause, Günter, Archäologische Zeugnisse zur frühen Geschichte Duisburgs, S. 381-392.