Hinter hohen Mauern – Besuch in Eleusis
Unsere aktuelle Sonderausstellung „Göttliche Geheimnisse“ führt die Besucherinnen und Besucher zu den „Eleusinischen Mysterien“, dem berühmtesten Mysterienkult der Antike. Die Einweihung fand in Eleusis statt; der Ort liegt etwa 30 Kilometer nordwestlich von Athen, gegenüber der Insel Salamis. Heute ist Eleusis ein beliebtes Touristenziel. Aber in der Antike war der Heilige Bezirk nur den Einzuweihenden zugänglich.
„Die Eleusinier haben einen Tempel des Triptolemmos1, ferner der Artemis Propylaia2 und des Vaters Poseidon3; auch einen Brunnen, Kallichoros genannt, wo die Frauen der Eleusinier zuerst den Chor aufführten und zu Ehren der Göttin sangen. Das Rarische Gefilde4 soll zuerst besäet worden sein und zuerst Früchte getragen haben […]. Was innerhalb der Mauern des Heiligthums ist, zu beschreiben, untersagte mir mein Traum; denn es versteht sich von selbst, dass die Uneingeweihten das, dessen Anblick ihnen versagt ist, auch nicht erfahren dürfen.“5
So beschrieb der Schriftsteller und Geograph Pausanias Eleusis im 2. Jh. n. Chr.
Der Heilige Bezirk ist im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgebaut und erweitert worden. Wie Pausanias‘ Zitat zeigt, war der Heilige Bezirk nur Eingeweihten zugänglich.
Man betrat diesen Bezirk im Nordosten. Die Heilige Straße führte von Athen direkt bis zu den Großen Propyläen, einem monumentalen Torgebäude. Der Platz davor wurde im 1./2. Jh. n. Chr. gepflastert und mit Triumphbögen versehen. Wahrscheinlich stand hier zunächst ein kleines Heiligtum der Göttin Hekate, die Demeter dem Mythos zufolge bei der Suche nach ihrer Tochter geholfen hatte. Später wurden hier Artemis Propylaia (Artemis der Propyläen) und Poseidon verehrt.
In archaischer Zeit (ca. 800–500 v. Chr.) befand sich hier ein Platz, auf dem die Eingeweihten Reigen tanzten. Am „Brunnen der schönen Tänze“ (kallichoros), der hier stand, soll sich dem Mythos zufolge Demeter niedergelassen haben. Allerdings hatten die Perser nach der Seeschlacht von Salamis 480 v. Chr. das Heiligtum in Brand gesetzt und in der folgenden Bauphase war der Tanzplatz durch eine Mauer durchschnitten worden.
Nach Durchschreiten der Großen Propyläen gelangte man an die Kleinen Propyläen. Dieses Gebäude zeigte zumindest im 1. Jh. v. Chr. bereits ein wenig von dem geheimnisvollen Charakter des Ortes: Verziert war es mit Ährengarben, geschmückten Schädeln geopferter Rinder und Kultgeräten. Der Durchgang war auf der Außenseite von zwei Säulen flankiert, auf der Innenseite jedoch von großen Frauenfiguren, die das Gebälk trugen, sogenannte Karyatiden. Auf dem Kopf trugen die Karyatiden die sogenannte cista mystica, ein geheimnisvolles Behältnis, dessen Inhalt nur den Eingeweihten bekannt war. Wahrscheinlich stellen die Frauen Priesterinnen dar, die auch im wirklichen Zug der Einzuweihenden durch das Tor diese Behältnisse trugen.
Wandte man sich nach Durchschreiten der Kleinen Propyläen nach rechts, so erblickte man das Ploutoneion, das Heiligtum des Hades , wo sich der Vorstellung nach auch ein Eingang in die Unterwelt befand. Schon im 6. Jh. v. Chr. befand sich hier auch ein kleiner Tempel. Gut vorstellbar, dass sich die Einzuweihenden im Vorübergehen hier einen Blick auf den Eingang zur Unterwelt erhofften.
Das Hauptgebäude der Anlage, das Telesterion oder Weihehaus, befand sich relativ zentral im Heiligen Bezirk. Zunächst, Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr., war hier möglicherweise eine andere Göttin mit mykenischen Wurzeln verehrt worden, bevor sich der Kult auf Demeter und Persephone fokussierte. Bereits um 1500 v. Chr. wurde an der Stelle des späteren Weihehauses eine große Halle, ein sogenanntes Megaron, errichtet. Im Laufe der Zeit wurde das rechteckige Gebäude mehrfach erneuert und erweitert. Der Staatsmann Perikles ließ das Telesterion im 5. Jh. v. Chr. neu errichten – das quadratische Gebäude mit einer Seitenlänge von 54 Metern, 42 Säulen und sechs Portalen bot nun Platz für etwa drei- bis viertausend Besucher.
Im Weihehaus selbst befand sich das rechteckige Anaktoron, der „Palast“, der auf ein Vorgängergebäude zurückging. Neben dem Eingang in das Anaktoron stand der Thron des Hierophanten, des Oberpriesters, auf dem dieser während der heiligen Zeremonien Platz nahm. Dieser Thron befand sich in einer Art eigenem kleinen Gebäude, das ihn nach drei Seiten hin abschirmte und nur in Richtung des Eingangs zum Anaktoron geöffnet war. Das Dach des Weihehauses besaß oberhalb des Bereichs von Anaktoron und Thron eine kaminartige Öffnung, durch die im Rahmen der kultischen Riten Rauch austrat.
Das Gelände, auf dem es darüber hinaus auch Lagerhäuser, Getreidesilos und Verwaltungsgebäude gab, wurde bis in das 3. Jh. n. Chr. immer wieder umgebaut, erneuert, wiederaufgebaut oder erweitert. Nicht alle vorgestellten Gebäude existierten also in dieser Form gleichzeitig. Doch die Abgrenzung des Heiligen Bezirks von der Umgebung wie auch das Ploutoneion und das Telesterion bzw. seine Vorgängerbauten waren zu allen Zeiten integraler Bestandteil der Anlage. Vor allem die römischen Kaiser machten sich um das Gelände verdient. Einige von ihnen, etwa Augustus (63 v.–14 n. Chr), Hadrian (76–138) und Mark Aurel (121–180), ließen sich hier auch selbst einweihen.
392 n. Chr. verbot Kaiser Theodosius I. das Feiern in Eleusis. Drei Jahre später, 395, fiel der Tempel den Westgoten unter Führung Alarichs I. zum Opfer. In der Folge gerieten die Mysterien von Eleusis in Vergessenheit. Auf und neben dem einst heiligen Gelände wurden bald christliche Kirchen errichtet. Besonders interessant ist die der Panagia Mesosporitissa („Allerheiligste“ [= Maria] „Mitte der Aussaat“) geweihte Kirche, welche sich oberhalb des Ploutoneions befindet. Sie stammt aus dem 15. Jh., ist aber auf älteren Sakralbauten errichtet. Sie ist nur am 20. und 21.11. eines jeden Jahres geöffnet. Verschiedene landwirtschaftliche Produkte wie Getreide, Rosinen, Trauben und Granatäpfel werden dann zu Ehren Marias in ihrer Eigenschaft als Hüterin der Saat zu einer Speise namens Polysporia, „Vielsaat“, gemischt. Neben Broten werden in dieser Form Erträge der Landwirtschaft in die Kirche gebracht, gesegnet und an die Teilnehmenden verteilt. Möglicherweise lebt hier die Erinnerung an die einstige Verehrung einer Vegetationsgöttin in Eleusis fort.
[1] Einer der legendären Herren von Eleusis, Verbreiter des Ackerbaus.
[2] Göttin der Jagd und des Waldes.
[3] Gott des Meeres.
[4] Bei Eleusis.
[5] Nach: Pausanias, Beschreibung von Griechenland, 1.38.6f. Zitiert nach: Johann Heinrich Christian Schubart: Beschreibung von Griechenland, Stuttgart 1857.