Schwere Armreifen und schwierige Verhältnisse – Europäische Manillen in Westafrika
von Dr. Andrea Gropp
Schwere hufeisenförmige Metall-Armreifen, die sogenannten Manillen, waren vom 16. bis ins 20. Jahrhundert Zahlungsmittel, Brautpreise und Grabbeigaben in verschiedenen westafrikanischen Staaten. Dabei stammten diese bis zu 14 Kilogramm schweren Schmuckstücke aus Kupfer, Bronze oder Messing gar nicht aus Afrika, sondern aus Europa! 1548 schlossen die Portugiesen einen Handelsvertrag mit den Fuggern ab, wonach diese in Deutschland produzierte Manillen an den portugiesischen König zu liefern hatten. Angefertigt wurden sie insbesondere im Rheinland.
Die Portugiesen hatte Handelsinteressen in Westafrika und rasch erkannt, dass Metall für die dort lebenden Menschen von großem Wert war. Wieso genau sie es in Form der Manillen dorthin transportierten ist unbekannt. Manche vermuten, es seien einst solche Armreife an Bord eines Schiffswacks gewesen, woraufhin die einheimischen Finder weitere solche Stücke von den Europäern erbeten hätten. Andere wiederum sehen den Ursprung der Armreifen in weiter entfernten Ländern Afrikas. Jedenfalls begannen die Portugiesen im 16. Jahrhundert mit dem Export der Manillen. Auch der Begriff selbst entstammt dem Portugiesischen – „mão“ bedeutet „Hand“ und „anilho“ „Ring“; zusammengefügt ergibt dies die „Manille“, beziehungsweise einen „Armreif“. Quellen zeigen, dass schon zwischen 1504 und 1507 mindestens 287.813 Manillen nach Westafrika eingeführt wurden.
Zunächst wurden sie vor allem ins Königreich Benin im heutigen Nigeria exportiert. Von hier aus verbreiteten sie sich aber rasch zwischen der Küste Guineas und dem Kongobecken. Die Europäer erwarben mit den Manillen Gold und Elfenbein, vor allem aber Sklaven, die sie dann nach Amerika verschifften. Dort wurden die Menschen dazu gezwungen, Edelmetalle abzubauen – die dann nach Europa gelangten und von dort im Handelsaustausch nach Asien flossen. Man weiß, dass 1522 eine 16jährige Sklavin in Benin für 50 Manillen gekauft werden konnte; der portugiesische König setzte den Maximalpreis aber schließlich auf 40 Manillen fest, um eine Inflation zu vermeiden. Insgesamt wurden Schätzungen zufolge etwa 13 Millionen Menschen deportiert. Aus diesem Grund wurden Manillen auch als „Sklavengeld“ bezeichnet.
Dabei waren die Beniner Eliten diesem grausamen Handel gegenüber sehr aufgeschlossen: Sie konnten sich so unliebsamer Gefangener entledigen und dabei an das wertvolle Metall gelangen, das ihre Paläste zieren sollte. Der Palast von Benin war ein riesiger Komplex. Der niederländische Geograph Olfert Dapper beschrieb das Gebäude des Königs so: „Es ist in viel prächtige wohnungen eingeteilet / und hat schöne lange viereckichte Lustgänge / die ohngefähr so groß seynd / als die Börse zu Amsterdam: doch einer ist grösser / als der andere. Das Tach derselben stehet auf hölzernen Seulen / welche von unten bis nach oben zu mit Missinge überzogen / darauf ihre Krieges tahten und Feldschlachten seynd abgebildet. […] und ein ieder Gübel ist mit einem Türnlein gezieret / welches oben spitz zu leuft. Darauf stehen Vogel / von Kupfer gegossen / mit ausgebreiteten Flügeln / sehr künstlich nach dem Leben gebildet.“[1]
Bei den von Dapper beschriebenen Abbildungen auf den Messingüberzügen der Säulen handelt es sich um sogenannte Benin-Bronzen. Die Gruppe dieser Bronzen umfasst sowohl Platten mit bildlichen Halbreliefs als auch rundplastische Darstellungen. Diese wurden ab dem 16. Jahrhundert von Beniner Künstlern aus dem Material der Manillen angefertigt.
Neben der Nutzung der Manillen als Rohstoffquellen für diese Kunstwerke wurden sie aber auch als Zahlungsmittel auf den Märkten eingesetzt. Sie waren häufig das „Großgeld“ neben den als „Kleingeld“ genutzten Kaurischnecken. Des Weiteren fungierten die Manillen als Brautpreise, Schmuck, Statussymbole oder Gaben für die Gräber. Neben den Portugiesen exportierten bald auch Holländer, Franzosen und Briten Manillen nach Westafrika, obschon nicht alle diese Produkte als mit den portugiesischen Stücken gleichwertig anerkannt wurden – Manillen aus minderwertigen Legierungen oder aus Eisen waren nicht sehr begehrt. Dennoch führte der stete Zustrom europäischer Manillen sowie der Rückgang des Sklavenhandels Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Inflation, zumal es daneben auch eine einheimische Manillen-Produktion gab.
1897 begann die britische Invasion Benins, in deren Verlauf die Palastgebäude zerstört und die königlichen Schätze konfisziert wurden. Schätzungen zufolge erbeuteten die Briten dabei zwischen 3000 und 5000 Benin-Bronzen, die als Beutekunst in verschiedene Teile Europas und in die USA gelangten.
1949 untersagte die britische Kolonialregierung die Nutzung von Manillen als Zahlungsmittel. Statt ihrer sollten britische Münzen genutzt werden. Zuvor hatten die Briten mehr als 32 Millionen Manillen aufgekauft und verschrottet. Ab dem 1. April 1949 durfte jeder Mensch nur noch maximal 200 Manillen besitzen, um sie bei Hochzeits- oder Bestattungszeremonien zu nutzen. In manchen Regionen werden Manillen noch heute von Frauen zu besonderen Anlässen getragen.
Die Benin-Bronzen stehen mittlerweile im Mittelpunkt einer komplexen Restitutionsdebatte. Schon in den 30er und 70er Jahren gab es Forderungen nach Rückgabe der Bronzen. Doch erst seit wenigen Jahren gibt es europäischerseits mehr oder weniger ernsthafte Pläne zu einer Restitution dieser Kulturgüter. Mitte 2022 vereinbarten Deutschland und Nigeria, dass die hier befindlichen Bronzen formell zu nigerianischem Eigentum werden, auch wenn sie weiterhin großteils als Leihgaben in Deutschland verbleiben sollen. In Deutschland befinden sich derzeit mehr als 1000 dieser aus Manillen gefertigten Kunstobjekte. Sie erzählen nicht nur vom Leben der Menschen, die sie erschaffen haben, sondern dokumentieren gleich in mehrerlei Hinsicht auch die oftmals schwierige Geschichte zwischen Europa und Afrika.
[1] Olfert Dapper: Umbständliche und Eigentliche Beschreibung von Africa, Und denen darzu gehörigen Königreichen und Landschaften. Amsterdam 1670; S. 486.
Literatur
- Georg Aumann: Primitives Geld – vormünzliche Zahlungsmittel. Erläuterungen zu den Schausammlungen des Naturwissenschaftlichen Museums Coburg, Heft 19. Coburg [o. J.]; S. 50–54.
- dpa: Deutschland gibt Benin-Bronzen an Nigeria zurück. Auf: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/koloniales-raubgut-deutschland-gibt-benin-bronzen-an-nigeria-zurueck-18135771.html (abgerufen am 26.10.2022).
- Paul Einzig: Primitive Money in its ethnological, historical and economic aspects. London 1951; S. 150–159.
- Yvonne Gönster: Wertvoll. Über nichtmünzliche Zahlungsmittel aus aller Welt. (Begleitheft der gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Schloss- und Beschlägemuseums Velbert). Velbert 2017; S. 24f.
- Uta Greifenstein: Fremdes Geld. Tauschmittel und Wertmesser außereuropäischer Gesellschaften. (Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der Commerzbank zusammen mit dem Museum für Völkerkunde Frankfurt). Frankfurt 1989; S. 25–28.
- Michael Hauser. Aus der Geschichte der vormünzlichen Zahlungsmittel. (Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der Volksbank Offenburg). Offenburg 22000; S. 16–20.
- Horst Kimpel: Traditionelle Zahlungsmittel. Wuppertal 1994; S. 80f.
- Hingston Quiggin: A Survey of Primitive Money – The Beginning of Currency. New York/London 1970; S. 89f.
- Henry Ling Roth: Great Benin: Its Customs, Art and Horrors. Halifax 1903; S. 103–
- René Sedillot: Muscheln, Münzen und Papier. Die Geschichte des Geldes. Frankfurt 1992; S. 60f.
- Scott Semans: Manilla: Money of the Slave Trade. Auf: https://coincoin.com/I024.htm (abgerufen am 26.10.2022).
- Tobias Skowronek, Christopher DeCorse, Rolf Denk, Stefan Birr, Sean Kingsley, Gregory Cook et al.: German brass for Benin Bronzes: Geochemical analysis insights into the early Atlantic trade. PLoS ONE 18(4): e0283415 (2023). Auf: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0283415.
Abbildungen:
Beitragsbild: Alexander Sarlay. Auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Manillen_Konvolut_aus_verschiedenen_Epochen_in_Westafrika.jpg (abgerufen am 26.10.2022), CC BY-SA 4.0.
Abb. 1: The Portable Antiquities Scheme/ The Trustees of the British Museum, Auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Modern_Manilla_%28FindID_447232%29.jpg (abgerufen am 11.01.2023), CC BY-SA 4.0.
Abb. 2: sailko. Auf: https://en.wikipedia.org/wiki/Benin_Bronzes#/media/File:Benin,_portoghese,_XVI-XVII_sec.JPG (abgerufen am 26.10.2022), CC BY-SA 3.0.
Abb. 3: jbdodane. Auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Door_of_No_Return_Ouidah_(5).jpg (abgerufen am 26.10.2022), CC BY 2.0.
Abb. 4: Reginald Kerr Granville. Auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Interior_of_Oba%27s_compound_burnt_during_siege_of_Benin_City,_1897.jpg (abgerufen am 26.10.2022), CC-0.