Der lange Schatten antiker Objekte – Was wissen wir über unsere Exponate?
Teil 5/6: Herkunft: Griechenland
In Griechenland ist die rechtliche Situation im Umgang mit Antiken ähnlich wie in den vorangegangenen Beispielen. In den 1820er-Jahren lösten sich die Griechen von der Herrschaft durch das Osmanische Reich und bildeten eine Republik aus. Wie in Lateinamerika war auch hier der neue Nationalstaat früh darauf bedacht, seine Altertümer zu schützen. In der Zeit von 1827 bis 1831 wurden Gesetze gegen die Ausfuhr von Antiken erlassen, seit 1834 herrscht ein nationales Schatzregal. Jedoch blieb auch in Griechenland der Anspruch weit hinter der Realität zurück. Um die unzähligen Stätten zu überwachen hätte es mehr Personal gebraucht, als der Staat sich leisten konnte. Auf dem Kunstmarkt in Nordamerika und Europa hingegen gab es schon lange vor der Unabhängigkeit Griechenlands eine hohe Nachfrage nach griechischen Antiken. Das Geschäft mit illegal ausgegrabenen Stücken war also lukrativ. Das Exportverbot für Antiken wurde 1899 neu gefasst und 1932 verschärft. Professionelle Ausgrabungen konnten nur mit staatlicher Genehmigung stattfinden. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren die beteiligten Archäologen hauptsächlich Briten und Deutsche. Am Ende der Grabungen wurden die Funde dann zwischen einem griechischen Museum und einem britischen bzw. deutschen Museum aufgeteilt. Mit Genehmigung hat es also auch in dieser Zeit legale Exporte von Antiken gegeben. Diese sind aber in Europa nicht erst auf dem Kunstmarkt erschienen, sondern direkt an Museen gegangen.
Lange Zeit galten die Vasen, Figurinen und Skulpturen der griechischen Klassik (ca. 500–336 v. Chr.) und Hellenistik (336–30 v. Chr.) als ästhetisches Ideal, während die älteren Erzeugnisse als primitiver und damit weniger hochwertig betrachtet wurden. Zu den besonders alten Kunstwerken zählt eine Gruppe von abstrakten Figurinen, die man auf der Inselgruppe der Kykladen fand. Sie stammen aus der Jungsteinzeit und frühen Bronzezeit (ca. 5000–1.600 v. Chr.). Da manche Archäologen den Figurinen eine kultisch-religiöse Bedeutung zuschreiben, sind sie als Kykladenidole bekannt geworden. Einzelne Stücke wurden schon im 19. Jh. beschrieben und in den großen Museen in London, Paris, Dresden und Karlsruhe gezeigt. Sie stellten aber stets ein Nischeninteresse im Vergleich zu späteren Werken dar.
Eine größere Bekanntheit erlangten die abstrakten Figurinen erst, als die abstrakte Kunst der Moderne ab den 1950er-Jahren eine größere Akzeptanz fand. Vom britischen Bildhauer Henry Moore ist bekannt, dass er drei Kykladenidole besaß und sich von ihnen inspirieren ließ. Auch bei Hans Arp und Alberto Giacometti ist eine Inspiration durch Kykladenkunst bekannt. Bei Constantin Brâncuşi wird es vermutet. Pablo Picasso besaß ebenfalls eine Kykladenfigur und hielt sie für besser als die Skulpturen Brâncuşis. Die Hinwendung des Kunstmarkts zur sogenannten „primitiven Kunst“, ebenfalls ab den 1950er Jahren, löste eine Welle von Raubgrabungen auf den Kykladen aus, die bis in die 1970er-Jahre anhielt. Aufgrund der einfachen reduzierten Form, besonders der jungsteinzeitlichen Figurinen vom Schultertyp und Violinentyp, waren die Idole leicht zu fälschen, sodass sich ab den 1960er-Jahren zu den raubgegrabenen Originalen auf dem internationalen Kunstmarkt auch zahlreiche Fälschungen gesellten.
In der Sammlung Köhler-Osbahr befindet sich ein Kykladenidol vom Violinentyp, zu dem sämtliche Dokumentation fehlt. Es gibt kein Ankaufsjahr, keinen Händler, keinen Preis und keine Inventarnummer. Üblicherweise wurden Objekte von Dr. Köhler als Privatperson gekauft und anschließend mit dokumentiertem Kaufpreis der Stiftung überschrieben. Auf den jeweils in einem Jahr an eine Stiftung übertragenen Wert entfällt die Einkommenssteuer. Bei legal erworbenen Stücken liegt eine Dokumentation des Kaufpreises also im Interesse des Stifters – und zwar umso mehr, je höher der Preis war. Da die Dokumentation beim Violinenidol fehlt, ist es unwahrscheinlich, dass es einen hohen Ankaufpreis hatte. Auf dem Kunstmarkt in Europa wurden vergleichbare Stücke für mehrere hundert Mark gehandelt. Ein Direktkauf in Griechenland bei einem Hehler oder Fälscher hingegen wäre deutlich günstiger gewesen. Ein dokumentierter niedriger Ankaufspreis wiederum hätte das Stück verdächtig gemacht. Vermutlich handelt es sich hierbei um ein Souvenir aus einem Griechenlandurlaub, das, im Gegensatz zum ebenfalls günstigen Axtkopf aus Mexiko, formal nicht der Stiftung übertragen wurde. Alternativ besteht die Möglichkeit, dass das Objekt als Schenkung in die Sammlung gelangte.
Dr. Dennis Beckmann