„Der kostbarste aller Edelsteine“ – Salzgelder aus aller Welt
von Dr. Andrea Gropp
„Auf Gold kann man verzichten, nicht aber auf Salz.“ Den Begriff „Gold“ in diesem Zitat des römischen Staatsmannes und Gelehrten Cassiodor (485–580) könnte man durch zahlreiche Währungen und Wertgegenstände ersetzen. Die meisten von ihnen sind nämlich nicht im eigentlichen Sinne lebensnotwendig, sondern vielfach eher nutzlos. Ihren Wert beziehen sie aus einer gesellschaftlichen Übereinkunft und oft auch aus einer spirituellen Funktion. Bei Salz ist dies anders: Nicht nur ist der menschliche Organismus auf Salz in der Nahrung angewiesen, sondern die Nutzung von Salz als Konservierungsstoff erlaubt es auch, Lebensmittel über einen längeren Zeitraum genießbar zu halten. Verständlich, dass der Chemiker und Fleischextrakt-Erfinder Justus von Liebig schrieb: „Salz ist unter allen Edelsteinen, die uns die Erde schenkt, der Kostbarste.“
Salz kommt zwar überall auf der Welt vor, allerdings ungleichmäßig verteilt – was eine konstante Nachfrage zur Folge hat. Entsprechend wurde es schon früh zu einem wichtigen Handelsgut und darüber hinaus an vielen Orten auch zu einer Währung. Salzstraßen entstanden – etwa im antiken Römischen Reich, im mittelalterlichen Deutschland oder in Tibet und China. Marco Polo, der in der zweiten Hälfte des 13. Jhs. Asien bereiste, berichtet, wie dort Salz gewonnen und mit dem Siegel des Großkhans versehen als Währung genutzt wurde. In einigen Regionen Chinas kursierte Salz bis ins 19. Jh. hinein als Geld.
Aber nicht nur in Asien, sondern vor allem in weiten Teilen des afrikanischen Kontinents konnte man über einen langen Zeitraum hinweg mit Salz bezahlen. Bis ins 19. und teilweise sogar 20. Jh. hinein kursierte Salz etwa in Mali, Sierra Leone, Benin, Nigeria, der Demokratischen Republik Kongo, Angola und vor allem in Äthiopien als Währung. Dabei existierten regional verschiedene Formen wie Stangen, Körbchen, Kegel, Platten, Pakete, Scheiben oder Körner. Obschon die Dinge des alltäglichen Bedarfs mit Salz bezahlt wurden, so spielte es auch und insbesondere als Brautgeld in vielen Regionen eine wesentliche und unverzichtbare Rolle. In Sierra Leone etwa, beim Stamm der Binkolo, überreichte der Bräutigam dem Vater der Braut zehn mit Bambusrohr umhüllte Stangen aus Salz als Brautgeld. Der Vater wiederum bezahlte mit einer dieser Stangen das Hochzeitsmahl. Darüber hinaus kam dem Material an einigen Orten auch eine Funktion als Baustoff zu. So berichtet der arabische Reisende Ibn Batuta, der 1352 den Ort Taghaza im Norden Malis besuchte, dass die Gebäude dort aus Salzplatten bestünden. Taghaza spielte damals eine bedeutende Rolle im Transsaharahandel.
Gewonnen wurde das Salz aus Meerwasser, salzhaltiger Erde oder salzhaltigen Pflanzen, meist aber durch Brechen in Salzbruchstellen. Andrew Battell (ca. 1565–1614), ein englischer Reisender, berichtet über Angola „In this place there is such store of salt that most part of the country are perfect clear salt, without any earth or filth in it, and it is some 3 feet under the earth as if it were ice, and they cut it out in stones of a yard long, and it is carried up into the country and is the best commodity that a man can carry to buy anything whatsoever.”[1]
Von ähnlicher Reinheit und Qualität ist auch das Salz, das in der Danakil-Senke in Äthiopien gewonnen wird. Das Salz, das entstand, nachdem Meerwasser, das in die Senke gelangte, verdunstete, liegt dort weitgehend frei zugänglich auf der Erde. Es wird mit Äxten aufgebrochen und zu Platten zugehauen. Diese Platten werden von Kamelkarawanen bis nach Mekele im äthiopischen Hochland transportiert. Hier schließlich werden die Platten in Barren gesägt und diese dann mit Bast umwickelt. Diese Barren werden Amoli genannt. Der Begriff stammt aus dem in der Region gesprochenen Afar und bedeutet „das einen Kopf besitzt“.
Die typische Größe der Amoli beträgt 21 x 6 x 3,5 oder 30 x 5 x 3 cm, sie wiegen zwischen 700 und 950 Gramm. Doch nicht ihre Größe und ihr Gewicht allein bestimmten den Wert der Salzbarren; dieser stieg mit der Entfernung zur Produktionsstätte. Aber auch zu verschiedenen Zeiten im Jahr schwankte der Wert: In der Regenzeit, in der kein neues Salz gebrochen werden konnte, hatte ein Amole eine höhere Kaufkraft. Schließlich spielte auch die Farbe eine Rolle; je dunkler ein Barren durch sein Alter geworden war, desto mehr Wert wurde ihm beigemessen.
Entsprechend ist es nicht möglich, verlässliche Umrechnungen vorzunehmen. Der Missionar Francisco Álvares, der Anfang des 16. Jhs. Äthiopien besuchte, gibt an, dass die gleiche Menge Gold, für die man nahe der Produktionsstätte 100-120 Amoli erhielt, eine Tagesreise weiter im Landesinneren schon 5-6 Amoli weniger erbrachte. Als sich der Maria-Theresien-Taler Ende des 18. Jhs. durch den Sklavenhandel in Äthiopien als Zahlungsmittel etablierte, gab es eine zweite weithin anerkannte Währung. Doch auch hier schwankte der Wechselkurs: Ein Taler entsprach um 1880 zwischen 8 und 100 Amoli. Für ein Amole erhielt man in dieser Zeit in Ankober 8-10 Hühner, 430 Gramm Kupfer oder Tabak und für drei Amoli ein Pferd. Überstieg ein Amole den Wert des zu kaufenden Guts, so konnte er auch zerbrochen werden.
Neben den Amoli und den Maria-Theresien-Talern waren auch andere Währungen in Äthiopien in Umlauf. Um 1900 wurden die Staatsfinanzen in Gold, Maria-Theresien-Taler, Elfenbein, Baumwolle und Salz angegeben. 27% der 1903 eingenommenen Steuergelder wurden in Amoli geleistet. Auch wenn der Wert des Salzes nach und nach durch europäische Exporte sank, sind Amoli bis heute auf lokalen Märkten als Handelsware zu finden.
Aufbewahrt wurden Amoli üblicherweise, indem man sie nahe des Herdfeuers vergrub. So waren sie vor Feuchtigkeit, aber auch vor Tieren geschützt. Amoli selbst dienten nicht als Nahrung; für die Speise vorgesehenes Salz wird Scham genannt. Unabhängig davon sagte man über einen reichen Mann lange „Er isst Salz.“[2]
Auch in den hiesigen Traditionen ist die Bedeutung des Salzes noch immer ersichtlich. So kommt der Begriff Salär vom lateinischen salarium, einer Salzration, welche die römischen Legionäre als Teil ihres Lohns erhielten. Aber auch verschiedene Bräuche stehen in Zusammenhang mit Salz. So kommt im Alten Testament der „Salzbund“ vor (Num 18,19 und 2. Chr 13,5), dessen genaue Bedeutung nicht mehr bekannt ist, der aber offensichtlich ein Bund von besonderer Qualität war. In vielen Religionen, etwa im Buddhismus, im Shintoismus, aber auch im Christentum wird dem Salz eine unheilabwehrende Wirkung zugeschrieben. Man benutzte es etwa bei kirchlichen Teufelsaustreibungen und aus demselben Grund wurde bis in die 60er Jahre bei katholischen Taufen Taufsalz verwendet.
Und schließlich ist es ein weit verbreiteter Brauch, zu besonderen Anlässen wie dem Willkommenheißen von Gästen, zur Hochzeit oder zum Einzug in ein neues Heim Brot und Salz zu reichen. In dieser Gabe werden der Wunsch nach Wohlstand wie auch der Schutz vor Bösem ausgedrückt. Eine Tradition, die mittlerweile sogar im All gepflegt wird: Neuankömmlinge auf der ISS werden dort mit Brot und Salz begrüßt.
[1] “An diesem Ort gibt es einen solchen Vorrat an Salz, dass der größte Teil des Landes vollkommen klares Salz ist, ohne Erde oder Schmutz darin, und es ist etwa 3 Fuß unter der Erde wie Eis; sie schneiden es in Steinen von einem Yard Länge heraus, und es wird ins Land hinaufgetragen und ist die beste Ware, die ein Mann tragen kann, um irgendetwas zu kaufen.” Andrew Battell: The strange adventures of Andrew Battell of Leigh, in Angola and the adjoining regions. London 1901; S. 37.
[2] Richard Burton: First Footsteps in East Africa or an Exploration of Harar. London, 1856. Auf: http://burtoniana.org/books/1856-First%20Footsteps%20in%20East%20Africa/1856-FirstFootstepsVer2.htm (abgerufen am 17.11.2020).
Literatur:
- Georg Aumann: Primitives Geld – vormünzliche Zahlungsmittel. Erläuterungen zu den Schausammlungen des Naturwissenschaftlichen Museums Coburg, Heft 19. Coburg [o. J.]; S. 39f.
- Andrew Battell: The strange adventures of Andrew Battell of Leigh, in Angola and the adjoining regions. London 1901.
- Richard Burton: First Footsteps in East Africa or an Exploration of Harar. London, 1856. Auf: http://burtoniana.org/books/1856-First%20Footsteps%20in%20East%20Africa/1856-FirstFootstepsVer2.htm (abgerufen am 17.11.2020).
- Paul Einzig: Primitive Money: In its Ethnological, Historical and Economic Aspects. London 1948 [Reprint: 1951]; S. 123–126.
- Yvonne Gönster: Wertvoll. Über nichtmünzliche Zahlungsmittel aus aller Welt. (Begleitheft der gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Schloss- und Beschlägemuseums Velbert). Velbert 2017; S. 26f.
- Uta Greifenstein: Fremdes Geld. Tauschmittel und Wertmesser außereuropäischer Gesellschaften. (Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der Commerzbank zusammen mit dem Museum für Völkerkunde Frankfurt). Frankfurt 1989; S. 45–48.
- Michael Hauser. Aus der Geschichte der vormünzlichen Zahlungsmittel. (Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der Volksbank Offenburg). Offenburg 22000; S. 21.
- Susanne Haverkamp: Was hat es mit dem Taufsalz auf sich? 24.04.2020. Auf: https://www.bistumspresse-zentralredaktion.de/was-hat-es-mit-dem-taufsalz-auf-sich (abgerufen am 17.11.2020).
- Horst Kimpel: Ursprüngliche Geldformen (Begleitheft der gleichnamigen Ausstellung im Völkerkundlichen Museum der Vereinigten Evangelischen Mission Wuppertal). Wuppertal 1989; S. 12f.
- Horst Kimpel: Traditionelle Zahlungsmittel. Wuppertal 1994; S. 20f.
- Manfred Pfefferkorn: Frühformen des Geldes. (Begleitheft der gleichnamigen Ausstellung der Dresdner Bank). 1990; S. 11f.
- Akinobu Kurodaa: The Maria Theresa dollar in the early twentieth-century Red Sea region: a complementary interface between multiple markets. In: Financial History Review 14.1, Cambridge 2007, S. 89–110.
- Didier Morin: Dictionnaire historique afar (1288–1982). Paris 2004; S. 53f
- Marco Polo: Die Reisen des Venezianers Marco Polo im dreizehnten Jahrhundert. Leipzig 1845; S. 387f.
- Hingston Quiggin: A Survey of Primitive Money – The Beginning of Currency. New York/London 1970; S. 51–55; 220f.
- René Sedillot: Muscheln, Münzen und Papier. Die Geschichte des Geldes. Frankfurt 1992; S. 38f.
- ohne Autor: Feast of bread and salt awaits space station crew. The Sydney Morning Herald, 18.04.2005. Auf: https://www.smh.com.au/world/feast-of-bread-and-salt-awaits-space-station-crew-20050418-gdl5e9.html (abgerufen am 17.11.2020).