Der lange Schatten antiker Objekte – Was wissen wir über unsere Exponate?
Teil 3/6: Herkunft: Peru
Peru verfügt über ein reiches kulturelles Erbe aus vorkolonialer Zeit. Die ältesten Töpferwaren in Peru sind etwa viertausend Jahre alt. Bekannte archäologische Kulturen Perus sind unter anderem die der Moche im Norden und der Nazca im Süden, die im 1. Jahrtausend nach Christus florierten. Das berühmte Reich der Inka entstand erst im fünfzehnten Jahrhundert nach Christus und endete im Jahr 1534 infolge der spanischen Kolonisierung. Aufgrund des trockenen Klimas haben sich in Peru außergewöhnlich viele Zeugnisse der Vergangenheit gut erhalten, auch Textilien und mumifizierte Leichname, die in feuchteren Klimazonen verrottet wären. Außerdem ist Peru reich an Gold, was sich auch in den Grabbeigaben in vorkolumbianischen Bestattungen widerspiegelt.
Monumente der vorkolonialen Zeit wie Ruinenstädte stellte der peruanische Staat bereits im Jahr 1822, ein Jahr nach seiner Unabhängigkeit, unter Schutz. Archäologische Grabungen, die nicht von der Regierung genehmigt wurden, sind seit 1893 verboten. Seit 1929 gilt ein allgemeines nationales Schatzregal für Kulturgüter. Seit 1958 ist die Ausfuhr von Kulturgütern grundsätzlich verboten, sofern keine Sondergenehmigung besteht. Der Staat Peru hat die UNESCO-Resolution zum Kulturgüterschutz von 1970 im Jahr 1979 akzeptiert, aber bis heute nicht ratifiziert. Das liegt unter anderem daran, dass die peruanische Regierung sich von bilateralen Verträgen mit den Ländern der Sammler, wie den USA, größeren Erfolg verspricht. Wie auch anderswo konnte die rechtliche Regulierung des Umgangs mit Kulturgütern eine massenhafte Plünderung nicht verhindern. Die verstreute Lage der archäologischen Stätten im Hochgebirge, die Armut der raubgrabenden Bauern und die korrupte Verwaltung machen es der Regierung unmöglich, die Situation unter Kontrolle zu bringen.
Von den peruanischen Objekten in der Sammlung Köhler-Osbahr soll hier beispielhaft ein Figurengefäß aus Keramik dienen, um die Probleme mit peruanischen Antiken zu erläutern. Ein genauer Fundort ist nicht angegeben. Die Zuordnung zur Mochekultur lässt aber auf einen Fundort bzw. ersten Ankaufsort an einer der Stätten der Moche schließen, die auf einen schmalen Küstenstreifen im nördlichen Peru begrenzt sind. Die historische Einordnung ins 1. bis 8. Jahrhundert nach Christus trifft auf die gesamte Mochekultur zu. Sie wurde also nicht aus einem konkreten Fundkontext abgeleitet. Ferner gibt es eine kunsthistorische Einordnung in die „frühe Zwischenperiode“ zwischen den Kulturstufen Moche III und Moche IV, die auf dem Vergleich des Aussehens des Figurengefäßes mit dem anderer, genauer datierter Gefäße in Museen und auf dem Kunstmarkt basiert. Zusätzlich gibt es eine naturwissenschaftliche Datierung: Beim Brennen von Keramik verändert sich die molekulare Struktur der im Ton enthaltenen Mineralien. Mit einer Thermolumineszenzdatierung oder TL-Datierung kann man untersuchen, wann diese Strukturveränderung stattgefunden hat, also wann der Ton gebrannt wurde. Die Methode ist aber relativ ungenau. Für das Moche-Gefäß ist eine Entstehung um 400 n. Chr. angegeben, also vor etwa 1.600 Jahren. Die Genauigkeit der Messmethode liegt bei +/- 10%. Das Gefäß könnte also auch 160 Jahre früher oder später entstanden sein, im Zeitraum zwischen 240 und 560 n. Chr. Bei einer Kultur, die nur vom 1. bis zum 8. Jahrhundert existiert hat, ist das ein langer Zeitraum. Für die Einordnung des Gefäßes in die Geschichte der Mochekultur ist der Stil-Vergleich mit anderen Gefäßen also nützlicher. Die TL-Datierung soll eher sicherstellen, dass ein Artefakt wirklich antik ist und keine Fälschung der letzten Jahrzehnte. Die Fälscher verwenden inzwischen aber auch Bruchstücke antiker Keramik und arbeiten diese in neue Gefäße ein. Wenn die Probe für die Datierung dann an einer antiken Stelle entnommen wird, gilt das ganze Gefäß als „erwiesenermaßen“ antik. Bei der Verlässlichkeit einer TL-Datierung kommt es also darauf an, wer die Stelle für die Probe auswählt. Im Gutachten dieser TL-Datierung ist angegeben, dass die Probe vom Gutachter entnommen wurde, nicht von einem Händler oder Käufer und dass dem Gutachter das gesamte Gefäß zur Verfügung stand. Ob der Gutachter neutral war oder ob er gegen eine Beteiligung am Verkaufspreis die Probe an einer abgesprochenen Stelle entnommen hat, geht aus dem Gutachten nicht hervor.
Sicher ist, dass das Gefäß im Jahr 1980 beim Auktionshaus Ketterer in München angeboten wurde und damals keine bekannte Provenienz hatte, die das Auktionshaus hätte mitteilen können, um den Preis des Artefakts zu steigern. Der erzielte Preis von 3300 DM dürfte für den Kunsthändler auch einträglich genug gewesen sein. Da in der Abschrift der Angaben aus dem Auktionskatalog keine TL-Datierung erwähnt wird, ist davon auszugehen, dass erst Herr Dr. Köhler diese in Auftrag gegeben hat. Um eine illegale Provenienz auszuschließen, müsste das Gefäß vor 1893 ausgegraben worden sein (bzw. vor 1822, wenn es von einem registrierten Monument stammt oder vor 1929, wenn eine Sondergenehmigung für eine private Grabung bestand) und vor 1958 das Land verlassen haben. Schauen wir also als nächstes, ab wann eine Ausgrabung wahrscheinlich ist: Das Ausrauben von Grabanlagen im nördlichen Peru geht zurück in die koloniale Zeit, bevor die Kulturgüter gesetzlich geschützt waren. Den frühen Grabräubern ging es vor allem um Goldartefakte mit hohem Materialwert. Die erste professionelle archäologische Ausgrabung einer Moche-Stätte fand erst im Jahr 1899 statt. Die archäologischen Grabungen im 20. Jahrhundert förderten dann auch Keramik-Objekte wie die zahlreichen Gefäße mit figürlichen Darstellungen zu Tage.
Die enorme Vielfalt an figürlichen Darstellungen macht diese Gefäße einerseits zu einer wertvollen Quelle für das Verständnis der Alltagskultur der Moche. Solange dieses Verständnis nicht voll entwickelt ist, haben die Figuren auf den Gefäßen andererseits aber auch eine mystische, exotische Anmutung für moderne westliche Betrachter. Das fehlende Verständnis für ihre kulturelle Bedeutung machte die Mochekeramik für Kunstliebhaber umso inspirierender. Dieser Effekt trat auch bei anderen Artefakten außerhalb der modernen westlichen Kultur auf. Daher wandte sich der Kunstmarkt in der Mitte des 20. Jahrhunderts allgemein sogenannter „primitiver Kunst“ aus Ländern außerhalb der westlichen Welt zu. Die Figurengefäße aus Südamerika wurden nun begehrte Sammelobjekte. Somit nahmen Plünderungen im Gebiet der Mochekultur in den 1960er-Jahren stark zu. Vor diesem Hintergrund ist es am wahrscheinlichsten, dass die Figur nach dem Erlass der gesetzlichen Regulierungen, vermutlich ab den 1950er-Jahren ausgegraben wurde. Bei Stätten der Moche finden die professionellen Archäologen seit Jahrzehnten fast nur noch ausgeraubte Gräber vor. Es ist ihnen daher kaum noch möglich, etwas über die Lebensweise der Menschen der Mochekultur in Erfahrung zu bringen. Für uns werden sie daher auf ewig mysteriös bleiben und ihre Artefakte werden für viele nicht mehr sein als exotische Kunst.
Dr. Dennis Beckmann