In Memoriam Johann, Heinz und Fay Schlösser
In der Duisburger Erinnerungskultur ist der Name Johann Schlösser ein Begriff. In Duisburg-Fahn trägt seit 1949 eine Straße seinen Namen. Er gehörte zu einem der vier Gewerkschafter, die am 2. Mai 1933 von Duisburger Nazis erschlagen wurden.[1] Dass sein Sohn Heinz nur zwei Tage später aus Nazi-Deutschland floh und bis zu seiner Verschleppung nach Australien in England lebte, ist in Duisburg weitgehend unbekannt.[2]
In England wurde er 1940 als „feindlicher Ausländer“, genauso wie Walter Kaufmann (Sohn des letzten Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde) und Emil Frank, Lehrer der jüdischen Schule Duisburg, nach Australien deportiert.[3] Nach dem Krieg (1953) reichte Heinz Schlösser beim Amt für Wiedergutmachung in Duisburg einen Antrag auf Entschädigung ein und ernannte Eberhard Brünen (SAP-Widerstand) zum Bevollmächtigten. Brünen (zu diesem Zeitpunkt SPD-Landtagsabgeordneter und Duisburger Ratsherr) galt als Experte auf dem Gebiet der Wiedergutmachung und war ebenfalls politisch Verfolgter des Nationalsozialismus.[4] Brünen scheint sich nicht mit Nachdruck um die Angelegenheiten gekümmert zu haben – zumindest sind in der Akte keine Schriftstücke von ihm überliefert[5]; hingegen zahlreiche Briefe von Heinz Schlössers Ehefrau Fay, die sich energisch und mit Nachdruck für die Bearbeitung der Entschädigungsangelegenheiten ihres Mannes einsetzte. Dies tat sie sowohl postalisch als auch persönlich beim Amt für Wiedergutmachung in Duisburg und bei der entsprechenden Stelle des Regierungspräsidenten in Düsseldorf.
In der Wiedergutmachungsakte von Heinz Schlösser spiegelt sich die nach der sog. Machtergreifung und besonders nach dem Erlass des Ermächtigungsgesetzes erfolgte Verfolgung von Oppositionellen in NS-Deutschland wider. Heinz Schlösser war ein besonders aktiver, politischer Aktivist: 1932/33 war er in der Propagandaabteilung der Sozialdemokratischen Partei Duisburgs angestellt und gehörte dem Ortsvereinsvorstand an. Außerdem war er Abteilungsleiter des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold sowie Leiter der Eisernen Front.[6] Seine politische Tätigkeit für den Erhalt der Weimarer Republik wird den lokalen Nazi-Funktionären bekannt gewesen sein, sodass er – vorsichtshalber – schon nach der „Machtergreifung“ abgetaucht war und spätestens seit April 1933 als „ohne Meldung nach unbekannt verzogen“ galt[7]. Der brutalen Zerschlagung der Gewerkschaften vom 2. Mai 1933 konnte er entgehen, jedoch nicht sein Vater Johann Schlösser, der mit drei anderen Gewerkschaftsfunktionären im Keller des Gewerkschaftshauses des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes an der Ruhrorter Straße 11 brutal erschlagen wurde.
Zwei Tage später floh Heinz Schlösser (auf Aufforderung der illegalen Leitung der SPD) am 4. Mai nach Brüssel und lernte dort seine spätere Ehefrau Fay Jackson kennen, die als Übersetzerin für die Gewerkschaftsbewegung in Brüssel tätig war. Das Pärchen siedelte im April 1934[8] nach England über. Fay – eine gebürtige Britin aus einem jüdischen Elternhaus – wollte damit verhindern, dass sie durch eine Trauung deutsche Staatsbürgerin werden würde.[9] Im Übrigen hatte die Gestapo weiterhin ein Auge auf Heinz Schlösser. Nach Erkenntnissen der Duisburger Gestapo-Außendienststelle stand er in Verbindung mit der „ehemaligen Lehrerin Johanna Niederhelmann“, die in Duisburg-Hamborn den Widerstandskreis um die Brotfabrik Germania mitaufgebaut hatte. Über den „Journalisten“ Heinz Schlösser wusste die Gestapo im November 1935 zu berichten, dass dieser „sich z.z.T. in London aufhielt und „gegen das nationalsozialistische Deutschland“ hetze.[10] 1936 entzog man ihm dann seine deutsche Staatsbürgerschaft.
Wie bereits erwähnt, wurde Heinz Schlösser 1940 mit rund 2500 „feindlichen Ausländern“, mehrheitlich jüdischen Flüchtlingen, mit dem britischen Truppentransporter „Dunera“ nach Australien verschifft. Wie auch die anderen „Dunera Internes“ wurde er in einem Lager (in Hay – New South Wales) und Camp Tatura (Victoria) interniert.
Seine Frau Fay reiste auch nach Australien und setzte sich unerbittlich auf allen Wegen für seine Freilassung ein und drohte am Ende sogar mit ihrem Suizid, falls er nicht freigelassen würde. Ende März 1942 wurde Heinz Schlösser freigelassen und Anfang April heirate das Paar. 1946 wurde er australischer Staatsbürger. 1947 kehrte das Paar, das inzwischen zwei Kinder hatte, nach England zurück – im gleichen Jahre erfolgte die Umbenennung von Schlösser in Castles.[11]
„The department of empty promises“ (Fay Castles, geb. Jackson)
Zurück zum Wiedergutmachungsamt – oder wie Fay es bezeichnete – „das Amt der leeren Versprechungen“. Diese Bezeichnung für das Amt für Wiedergutmachung (Abteilung Düsseldorf) stammt aus einem Brief, den Fay 1957 an die Behörde in Duisburg schrieb und scharfe Kritik über die schleppende Bearbeitung des Antrags übte. Sie machte auch unmissverständlich klar, dass sie ihre Kontakte zu britischen Parlamentsmitgliedern nutzen würde, falls nicht Bewegung in die Sache käme. Abschließend bedankte sie sich bei dem Duisburger Sachbearbeiter im Stil britischer Freundlichkeit „für alles, was sie in der Vergangenheit für uns getan haben. Wir halten Sie für einen der besten Vertreter, die das heutige Deutschland haben könnte.“ Der in Duisburg sitzende Amtsleiter des Amtes für Wiedergutmachung Josef Doppstadt ging nicht auf die Kritik an der Behörde der Bezirksregierung ein, sondern bedankte sich, dass Frau Castles die Hilfsbereitschaft seiner Behörde „so lobend“ anerkennt. Der sich in dieser Akte abzeichnende langwierige Prozess der Bearbeitung der Anträge und des Rentenverfahrens steht prototypisch für die Erfahrung, die viele Antragsteller:innen machen mussten.
Heinz Castles starb 1963 in Brighton, Fay starb 1992 in Australien. Von 1947 bis 1959 war Heinz Schlösser Leiter des Crockham Hill Youth Hostel in Kent.
Die Nachkommen der Familie Schlösser – die „Castles = Schlösser“ heißen, leben heute in England und Australien. Sohn Frank Castles, emeritierter Professor für Politikwissenschaft, lebt in Canberra (Australien), während Sohn Stephen Castles, Professor für Soziologie an der Universität von Sydney, 2022 in Australien verstarb. Belinda Castles, Enkelin von Heinz Schlösser, lebt ebenfalls in Australien. Sie ist Schriftstellerin und Dozentin für creative writing an der University of Sydney und hat in ihrem Roman „Hannah and Emil“ die Familiengeschichte ihrer Großeltern literarisch verarbeitet. Duisburg, Brüssel, England und Australien sind Stationen, die dort vorkommen. Auch Jenny Wüstenberg, Enkelin von Heinz und Fay, beschäftigt sich als Professorin für Geschichte und Memory Studies an der Nottingham Trent University intensiv mit Erinnerungskultur. Zuletzt war sie Mitherausgeberin von „The Routledge Handbook of Memory Activism“ (2023). Inzwischen steht das Duisburger Zentrum für Erinnerungskultur mit Belinda Castles und Jenny Wüstenberg in Kontakt, um weitere spannende Details der Familiengeschichte zu ergründen.
Ein Beitrag von Robin Richterich 2024, Redaktion: Christa Frins, Carmen Simon Fernandez
[1] Hierzu grundlegend: IG Metall Verwaltungsstelle Duisburg (Hg.): Die „Gleichschaltung“ der Gewerkschaften. Die Ereignisse um den 2. Mai in Duisburg. Berichte und Dokumente. Konzeption und Redaktion: Jürgen Dzudzek, Duisburg 1983.
[2] Hierzu grundlegend: „Heinz Schloesser, Youth Hostel Warden“ in: Inglis, Ken, Seumas Spark, Jay Winter & Carol Bunyan (Hg.): Dunera Lives – A Visual History. Clayton: Monash University Publishing, 2018, S. 345-369.
[3] Insgesamt wurden fünf Duisburger von England nach Australien verschleppt: Gerhard Brandt, Heinz Schlösser Emil Frank, Erich Leffmann und Walter Kaufmann.
[4] In Zusammenhang der Zerschlagung des Widerstands der SAP saß Brühen sogar zehn Jahre in Lagern und Zuchthäusern. Er war „by the way“ der Ehemann von Hertha Niederhellmann, die wie auch ihre Schwester Johanna Niederhellmann (Brotfabrik Germania) im Widerstand aktiv war.
[5] Vgl. Stadtarchiv Duisburg Bestand 506/184, S. 65-67. Im Landesarchiv NRW (Abteilung Rheinland) könnten sich weitere Entschädigungsakten befinden, die mehr über die Tätigkeit von Eberhard Brünen in diesem Fall aussagen.
[6] Vgl. Stadtarchiv Duisburg Bestand 506/184, S. 5 PDF.
[7] Ebd., S. 19 PDF.
[8] Ebd., 6. PDF.
[9] Dunera Lives, S. 33.
[10] Gestapo Brief abgedruckt in: Bludau Kuno: Gestapo, Geheim! Widerstand und Verfolgung in Duisburg 1933–1945. (Duisburger Forschungen Bd. 16), Duisburg 1973, S. 258.
[11] Dunera Lives, S. 311.