Teil 2: Täterforschung im Arbeitskreis Antiziganismus des Zentrums für Erinnerungskultur
Wie eine Frau im NS-Polizeidienst Sinti und Roma verfolgte und nach 1945 für deren
Wiedergutmachung zuständig war
Die 1898 in Duisburg-Meiderich geborene Katholikin Anne Pillmann kam aus klein- und bildungsbürgerlichen Verhältnissen. Der Vater war Konrektor, ein Bruder wurde Ingenieur, eine Schwester Postsekretärin. Die Familie wohnte wechselnd in Mehrfamilienhäusern zur Miete, ermöglichte der älteren Tochter aber den Schulgeld fordernden Besuch eines Lyzeums und das Abitur. Es folgte eine Fürsorgeausbildung an der Wohlfahrtsschule der Stadt Köln, die Anne Pillmann 1926 abschloss. Sie ging anschließend nach Cottbus (Brandenburg) und dann nach Dessau (Sachsen-Anhalt) als Fürsorgerin jeweils in die Polizeiverwaltung. Sie wurde Mitglied der SPD.
In Dessau war ihr Aufgabengebiet nach eigenen Angaben im Entnazifizierungsverfahren die Vernehmung von Kindern und Jugendlichen, die der Polizei verdächtig erschienen. Sie erklärte, im Oktober 1933 oder 1934 – ihre Angaben dazu variieren – aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der SPD nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen worden zu sein. Weder für die behauptete Parteimitgliedschaft noch für ihre Entlassung legte sie im Verfahren valide Belege vor, nach denen aber auch niemand fragte.
Ideologische Prägung
1934/35 war sie an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München tätig, die der führende Rassenhygieniker und entschiedene Befürworter des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses („Sterilisationsgesetz“) Prof. Dr. Ernst Rüdin (1874–1952) leitete. Er betrieb an dieser Anstalt auch Zwillingsforschung. Pillmann erklärte nach 1945 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in diesem Bereich eingesetzt gewesen zu sein. Bei ihrem Ausscheiden wurde ihr von der Stadt München ein besonderes Interesse für die Erb- und Rassenpflege bescheinigt.
1935 wechselte sie in das Wohlfahrtsamt München und arbeitete unter Dr. Elisabeth Bamberger (1890–1984), die die Leitung der städtischen Familienfürsorge hatte und 1941 zur Direktorin der Wohlfahrtspflegerinnen befördert wurde, in der Familienbetreuung. Daneben besuchte sie seit 1940 die Verwaltungsakademie München, die sie 1943 mit einem Diplom mit Auszeichnung abschloss. 1942 bemühte Pillmann sich, ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben von Rüdin, inzwischen Leiter des Instituts für Rassenhygiene in München, um eine neue Arbeitsstelle. Zunächst versuchte sie in der Stadt zu bleiben und in die Abteilung für die Umsetzung des Erbgesundheitsgesetzes des Gesundheitsamts zu wechseln. Das gelang nicht. Der leitende Obermedizinalrat Dr. Felix Stemplinger, ein beinharter Befürworter der „Erbkrankenausmerze“ (Annemone Christians), hielt sie zwar, wie er betonte, nicht „etwa für unfähig oder nicht intelligent genug“, sie sage ihm „charakterlich“ nicht zu. Ihm behagte nicht, dass sie alles besser wisse und ihre Fähigkeiten überschätze. Sie müsse „unter Druck und Aufsicht“ stehen. Es liegt nahe, die Erklärung für diese Konflikte im personalen Raum sowie in der Geschlechterdifferenz und den damit verknüpften Verhaltenserwartungen des Chefs zu suchen. An keiner Stelle bemängelte er Divergenzen in Fragen der Erbbiologie oder der „Ausmerze“.
Erfolgreich bewarb sie sich anschließend beim Kriminalbiologischen Institut des Reichsgesundheitsamts in Berlin, das von Dr. Dr. Robert Ritter (1901–1951) geleitet wurde. Er beauftragte Pillmann 1942/43, ausgehend von Häftlingen des Zuchthauses in Rheinbach, mit kriminal- und erbbiologischen Erhebungen in rheinischen Haftanstalten. Es war die Zeit, in der das Konzept einer „Vernichtung durch Arbeit“ systematisch angegangen wurde. Die Haftanstalten wurden nach erbbiologisch unerwünschten „Ballastexistenzen“ durchkämmt. Als Arbeitsort von Pillmann ist neben Rheinbach das Kölner Gefängnis „Klingelpütz“ bekannt. Ihren Arbeitsplatz hatte sie in der dort eingerichteten Kriminalbiologischen Sammelstelle der Kölner Kripo. Sie recherchierte – ganz nach Art der Erfassung von „Zigeunern“ und „Zigeunermischlingen“ durch Ritters Rassenhygienischer und bevölkerungsbiologischer Forschungsstelle – Daten bei lokalen Polizeibehörden und anderen amtlichen Stellen, die die Erblichkeit von Kriminalität und Asozialität ausweisen würden. Mit Ritter und dessen engster Mitarbeiterin, Dr. Eva Justin, stand sie in einem gleichgerichteten engen Arbeitskontakt.
Allerdings endete ihre Tätigkeit vorzeitig durch Kündigung, weil Ritter mit ihrer „sprunghaften Arbeitsweise“ und ihrem ausgeprägten Eigensinn nicht einverstanden war. Genau wie Stemplinger hatte er nichts an ihrer Haltung gegenüber dem NS-Konzept oder der NS-Praxis von Erbhygiene, Kriminalbiologie und „Asozialität“ auszusetzen. Die passte, da war man sich einig. Das Reichsgesundheitsamt verabschiedete sich von ihr mit einem Lob für „viel persönliches Interesse, Eifer und Ideenreichtum“ bei ihren „Ermittlungen ueber Verbrecherschicksale und Verbrechernachkommen“ und sah in den Ergebnissen wichtige Grundlagen für die weitere Arbeit.
Sowohl in Rheinbach als auch in Köln erlebte Pillmann ständig Hinrichtungen. Aus Rheinbach waren sie nach ihren Angaben ausgelagert. “2 bis 3.000” Häftlinge aus den Westgebieten “warteten … auf die Hinrichtung”, die andernorts stattfand, während sie in Köln “das allnächtliche Hinrichten” im Klingelpütz mitbekommen habe. Während ihrer Arbeit in rheinischen Haftanstalten ersuchte sie „in psychiatrischen Fragen“ die Unterstützung von Prof. Dr. Kurt Pohlisch (1893–1955), Ordinarius der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn. Der T4-Gutachter war „der am stärksten in die Medizinverbrechen des ‚Dritten Reichs‘ involviert[e]” Angehörige des Bonner akademischen Lehrkörpers. Nach Pohlischs Überzeugung waren durch „die praktische rassenhygienische Arbeit“, wie sie etwa Pillmann leistete, “solche psychopathischen Anlagen, die in unserem Volkskörper sich störend bemerkbar machen, unschädlich zu machen bzw. auszumerzen.“ (Ralf Forsbach)
Als sie nach Brandenburg gekommen sei, habe sie “nicht mehr am Töten teilnehmen” wollen, blieb aber, wie an ihren Aufenthalten in Brandenburg-Görgen erkennbar, in einem engen Kontakt zu mindestens einer Tötungsanstalt, die sie aus dienstlichen Gründen auch selbst aufsuchte und von innen kennengelernt haben dürfte.
Für die Zeit von 1943 bis zur Kapitulation gab Pillmann in ihrer Entnazifizierung eine Tätigkeit im Wohlfahrtsamt Brandenburg an. Es war allerdings dort das Jugendamt. Ihre Arbeit und ihre „Erfolge bei der erbbiologischen Erforschung asozialer Sippen“ in Brandenburg erkannte der Oberbürgermeister im Januar 1945 ausdrücklich an.
Als Zeugin bei NS-Prozessen
1964 ging sie auf ihre Tätigkeit näher ein. Sie war Zeugin in dem später eingestellten Ermittlungsverfahren gegen Prof. Dr. med. Hans Heinze (1895–1983) wegen Massentötungen von Geisteskranken und geistig und körperlich behinderten Kindern. Heinze hatte die „Kinderfachabteilung“ Brandenburg-Görden geleitet, die erste Kindermordanstalt im Deutschen Reich. Ein Reichsausschuss, dem Heinze angehört hatte, legte fest, welche Kinder getötet werden konnten. Das geschah in diesen Anstalten, falls nach dortiger Einschätzung Kinder künftig keinen wirtschaftlichen Nutzen, sondern nur Kosten erwarten ließen. Der Sachverhalt, auf den Pillmann in Görden stieß, war ihr nicht neu. Die Kindermorde waren ihr bereits 1940 als Familienfürsorgerin des Münchener Wohlfahrtsamts in der „Kinderfachabteilung“ im oberbayerischen Eglfing-Haar begegnet. Diese Anstalt, schwärmte sie noch 1964, sei ihr damals als „eine friedliche schöne Oase“ erschienen.
Pillmann entlastete im Heinze-Verfahren den ihr „weichlich, fast kindlich und immer fröhlich“ erscheinenden Beschuldigten. Dessen Selektionsanstalt beschrieb sie als ein „Kinderhaus“, das „vorbildlich eingerichtet“ gewesen sei.
Mit Heinze entlastete sie in ihrer Stellungnahme zugleich auch ihren vormaligen Vorgesetzten Robert Ritter – „Zigeunerritter“, wie sie ihn nannte –, der ein Verschwörer des 20. Juli 1944 gewesen sei. „Nach dem Attentat“, so merkte sie, einen Kontext zur „Widerstandsbewegung“ behauptend, an, „beunruhigte mich auch mein persönliches Schicksal.“ Belege für Kontakte der beiden in dieser Richtung liegen bislang nicht vor.
Mit dem Ende des NS-Staats kehrte Pillmann in die Polizeiverwaltung von Dessau zurück, wo sie schon von 1929 bis 1933 als Polizeifürsorgerin tätig gewesen war, nun war sie „Kriminalinspektorin“. Wie damals war nach ihren Angaben ihr Aufgabengebiet erneut die Vernehmung von verdächtigen Kindern und Jugendlichen. 1946 verließ sie die Sowjetische Besatzungszone und ging nach Westdeutschland. Sie kehrte nach Duisburg–Ruhrort zurück, wo ihre Herkunftsfamilie lebte.
„Entnazifiziert“ und wieder im Polizeidienst
Im Entnazifizierungsverfahren erklärte sie zur Frage nach belastenden Organisationszugehörigkeiten, nirgendwo mit Ausnahme der NS-Volkswohlfahrt (NSV) und der Deutschen Arbeitsfront (DAF) beigetreten zu sein. NSV und DAF waren bei passiver Mitgliedschaft als Belastung bedeutungslos. Der Ausschuss übernahm ihre Angaben wie üblich ungeprüft.
Pillmann camouflierte mit unpolitischem und karitativem Anschein ihre rassen- und erbbiologischen Aktivitäten, indem sie ihre Tätigkeit in München mit „Betreuung für Familien“ als „Familienfürsorgerin“ im Wohlfahrtsamt umschrieb, der „wissenschaftliche Erhebungen“ als „Fürsorgerin“ im Reichsgesundheitsamt gefolgt seien. Die „Kinderfachabteilungen“ Eglfing und Görden, die Kriminalbiologische Forschungsstelle von Ritter und die Kriminalbiologische Sammelstelle im Kölner Klingelpütz oder vergleichbare Behörden kamen in dem von ihr vorgelegten Lebenslauf nicht vor. Da der Ausschuss an keiner Stelle Anlass für Nachfragen sah, konnte er sie bestmöglich als „entlastet“ (Kategorie V) bewerten. Damit hatte sie die Freigabe für eine Wiedereinstellung in den Duisburger Polizeidienst, in den sie 1946 aufgenommen, aber nicht richtig warm wurde, denn schon im Januar 1947 wurde sie vom Chef der Polizei, dem Polizeimajor Alfons Nagel wieder entlassen. Das sei, teilte die Polizeiverwaltung der Militärregierung mit, „on grounds of inefficiency“ geschehen. Sie wechselte in die Stadtverwaltung Wuppertal, erst in die Wohlfahrts-, dann in die Rechtsabteilung.
Ende 1948 bewarb sie sich erneut in Duisburg. In ihrem Lebenslauf mutierte nun ihre Tätigkeit für Ritter zu „kriminalsoziologischen Erhebungen“. Konfliktgehalt mit der NS-Führung vortäuschend, fügte sie hinzu, die hätten auf ministerielle Anordnung eingestellt werden müssen.
Zurück im Dienst der Stadt Duisburg: Tätigkeit beim Wiedergutmachungsamt
1949 übernahm die Stadtverwaltung Duisburg sie ein weiteres Mal, zunächst in die Geschäftsstelle des Polizeiausschusses, dann – absurderweise – zwei Monate bis zum Jahresende ins Wiedergutmachungsamt. Von dort sind in den Entschädigungsakten mehrere Beiträge von ihr überliefert. Eine Schlüsselrolle bei Entschädigungen von Angehörigen der Roma-Minderheit hatte auch in Duisburg die Antwort auf die Frage nach der Familiendeportation nach Polen im Mai 1940. Dazu hatte sich Pillmann bei den Duisburger Kriminalbeamten Wilhelm Helten (1891–1968) und Anton Kersting informiert. Deren verlogene Entlastungsreden arbeitete sie zu einer langen gutachtlich anmutenden Erklärung der NS-Maßnahmen innerhalb der „Bekämpfung des Zigeunerwesens“ aus. Sie kam zu dem Schluss, dass 1940 in Polen „den Zigeunern … ihr Selbstbestimmungsrecht zurückgegeben worden“ sei. Niemand sei in festen Lagern untergebracht gewesen, alle Betroffenen hätten eine „unbeschränkte Bewegungsfreiheit“ gehabt und ins KZ habe nur kommen können, wer sich „widerrechtlich“ auf den Rückweg ins Reich begeben habe. In Polen selbst seien „die Zigeuner … vollständig unbehelligt“ geblieben. Als Beleg führte sie Klagen des Reichskriminalpolizeiamts über eine angebliche „Zigeunerplage“ durch umherziehende Deportierte an. Tatsächlich landeten die Deportierten in Lagern unterschiedlichster Art, in Zwangsarbeitskolonnen und in Ghettos, wenn sie nicht irgendwo hilf- und orientierungslos ausgesetzt wurden. Für die aus Hamburg Verschleppten liegt die Todesrate vor: es waren 80 Prozent (Michael Zimmermann). Die Versuche, der Antragsteller, die Lügen richtigzustellen, wurden von Pillmann als unglaubwürdig und als Belege „zigeunerischer“ Verlogenheit abgetan. Pillmann stand mit ihrem hanebüchenen Trugbild keineswegs allein, im westdeutschen Rechts-, Polizei- und Entschädigungswesen war es vorherrschend und wurde 1956 in einem Entschädigungsurteil durch den BGH zur allgemeingültigen Richtschnur gemacht, die erst 1963 zu einem Teil zurückgenommen wurde.
Pillmann feilte ihre Darstellung zu einem Textbaustein aus. Er trug die Überschrift „Betrugsversuch“ und kam nun durch sie regelmäßig bei Entschädigungsanträgen von Deportationsopfern aus Duisburg zum Einsatz. Man versuche – so Pillmann – „sich durch falsche Angaben eine Haftentschädigung zu erschwindeln“. Das sei zu verhindern.
In diesen konflikthaltigen Monaten, die wie immer durch ihre egozentrische Arbeitsweise geprägt waren, bemühte sie sich, nach München und zu ihren alten Arbeitsmöglichkeiten und -inhalten zurückzukehren. Sie hatte erfahren, dass im bayerischen Landeskriminalamt eine Nachfolgeeinrichtung der „Reichszentrale für Zigeunerbekämpfung“ begründet worden war, die zu einer Bundeszentrale ausgebaut werden sollte. Dort wolle sie an dem „von uns in Berlin gesammelten Material über die Zigeuner“ weiterarbeiten, das Dr. Ritter zwei Wochen vorher nach München abgeliefert habe. Mit Ritter, der Stadtarzt in Frankfurt a. M. war, stand sie in Kontakt. Sie hatte ihm aus Duisburg eine Denkschrift zu Beobachtungen und Beratungen in Sonderfällen der „Asozialität“, nämlich zur Prostitution zugedacht. Eine ganze Reihe von kriminalpolizeilichen NS-Zigeunerexperten fand sich in der bayerischen „Landfahrer-Zentrale“ ein. Die auffälligste Veränderung im Vergleich mit der früheren Reichszentrale blieb die Ersetzung von „Zigeuner“ durch „Landfahrer“ (Gilad Margalit).
Ob Pillmann die Stelle antreten konnte und wie es überhaupt beruflich und persönlich mit ihr weiterging, ist nicht bekannt. Mit ihrer Kündigung in Duisburg zum Jahresende 1949 verliert sich ihre Spur.
Es mag das Berufsleben der – soweit überschaubar – bis in ihr sechstes Lebensjahrzehnt unverheiratet und ohne eigene Familie lebenden Anne Pillmann, auf eine auffällige Weise von Auseinandersetzungen mit ihren Vorgesetzten geprägt gewesen sein. Sie mag von Größenfantasien motiviert gewesen sein, wie sie sich bei einer Mehrheit von Frauen in ihrer beruflichen Situation damals eher nicht fanden. Zu sehen wäre aber, dass Selbstbilder von besonderer Größe und ein entsprechendes Herrenmenschengehabe ein durchlaufendes Merkmal in den nationalistischen Mittelschichten, erst recht aber in der rassifizierten „deutschen Volksgemeinschaft“ der NS-Jahre waren. Es wurde dort mit allen Einflussmitteln verankert und ständig durch die Praxis der Ausgrenzung und Verfolgung von „minderwertigen“ sozialen und ethnischen Minoritäten gefüttert. Pillmann war insofern keine Besonderheit, schon aber als Frau: „Ich brauche beim Umgang mit Pol. Chef u. Dezernent … keine Hilfe, bin beiden Männern geistig gewachsen.“ Diese allein auf sie selbst bezogene frauenemanzipatorisch anmutende Haltung stand neben ihren erb- und rassebiologischen Überzeugungen über die Unterwertigkeit der Angehörigen der unteren Sozialschichten („Asoziale“, „Kriminelle“) und zur Roma-Minderheit („Zigeuner“, „Zigeunermischlinge“). Auch das war keine Besonderheit in ihrem sozialen Segment. Die Vorstellung menschenrechtlicher Gleichheit war Pillmann zutiefst fremd. An diesem Punkt war ihr Verhalten nie einem persönlichen oder institutionellen kritischen Zweifel ausgesetzt. Sowohl vor als auch nach 1945 gab es die staatlichen Instanzen, in denen sie diese Vorstellungswelt entfalten und anwenden konnte. Die Biografie von Anne Pillmann steht für ungestörte ideologische und institutionelle Kontinuitäten vom NS-Staat nach Westdeutschland.
Quellen:
Bundesarchiv, R 160/69, Bl. 1ff., 170, Korrespondenz Dr. Dr. Robert Ritter/Obermedizinalrat Dr. Felix Stemplinger
Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, NW 1004-G41 A1, Nr. 1.016, Entnazifizierungsakte Anne Pillmann
Landesarchiv, NRW, Abt. Rheinland NW 1.000, Nr. 2.707, Entnazifizierungsakte Anne Pillmann
Niedersächsisches Landesarchiv, Abt. Hannover, Nds. 721 Hannover Acc. 90/99, Nr. 3.318, Bl. 213
Stadtarchiv Duisburg, 506, Nr. 672, Entschädigungsakte Arnold Kiesewetter
Stadtarchiv Duisburg, 506, Nr. 969, Entschädigungsakte Wilhelm Mettbach
Stadtarchiv Duisburg, 506, Nr. 1.215, Entschädigungsakte Bernhard Rosenberg
Stadtarchiv Duisburg, 103/A, Nr. 7.926, Personenakte, Bl. 2, 5, 16, 21, 51, 54
Annemone Christians, Amtsgewalt und Volksgesundheit. Das öffentliche Gesundheitswesen im nationalsozialistischen München, Göttingen 2013
Ralf Forsbach, Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im “Dritten Reich”, München 2006
Ralf Forsbach, Medizin im “Dritten Reich”. Humanexperimente, “Euthanasie” und die Debatten der Gegenwart, Münster 2006
Gilad Margalit, Die Nachkriegsdeutschen und „ihre Zigeuner“. Die Behandlung der Sinti und Roma im Schatten von Auschwitz, Berlin 2001
Michael Zimmermann, Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische „Lösung der Zigeunerfrage“, Hamburg 1996
Ein Beitrag von Dr. Ulrich F. Opfermann (Historiker/Krefeld)
Ulrich Opfermann forscht und publiziert seit langem zur NS-Zeit und zum Themenfeld „Roma-Minderheit“. Zuletzt erschien seine Expertise „zum Umgang der deutschen Justiz mit an der Roma-Minderheit begangenen NS-Verbrechen nach 1945“ für die Unabhängige Kommission Antiziganismus. Gemeinsam mit Dr. Karola Fings gab er 2012 das Buch „Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933 – 1945“ heraus. Opfermann ist Mitglied der Gesellschaft für Antiziganismusforschung und des Rom e.V. Köln wie auch im Arbeitskreis „Geschichte der Duisburger Sinti“ am Zentrum für Erinnerungskultur.
Redaktion: Christa Frins und Robin Richterich (Zentrum für Erinnerungskultur)
Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Ausstellung „Die Kommissare. Kriminalpolizei an Rhein und Ruhr 1920–1950“ im Landesarchiv Duisburg, die durch das Zentrum für Erinnerungskultur um einen lokalen Teil ergänzt wurde.