Spektakuläre Verbrechen, Alltagskriminalität, Straßenkämpfe und Antisemitismus in Duisburg: Die 1920er Jahre waren alles andere als golden.
Kaum ein Thema weckt so starke Emotionen wie Kriminalität. Doch ein Blick in Zeitungsartikel von vor rund 100 Jahren räumt mit dem Klischee der „guten alten Zeit“ auf. Die Zwanziger Jahre waren alles andere als golden. Einerseits war das Jahrzehnt von einer tiefen Zerrissenheit geprägt, neben technischen und künstlerischen Innovationen gab es Angst, Not und Elend und einen immer offener zu Tage tretenden Antisemitismus.
Spektakuläre Verbrechen
Von Frauen verübte Gewalttaten, insbesondere Tötungsdelikte, waren selten. Der Fall der 19-jährigen Käthe Hagedorn aus Duisburg löste daher besonderes Entsetzen und tiefe Trauer aus. So heißt es in einem Artikel der Rhein- und Ruhr Zeitung vom 26.6.1926: „Der Mord an den beiden Kindern in Wanheimerort hat die Duisburger Bevölkerung in lebhafte Erregung versetzt.“ Die Kindermörderin Hagedorn benutzte als Mordwaffe eine Stickschere.
Drei Jahre später sorgte eine bestialische Mordserie mit Schere und Hammer deutschlandweit für Schlagzeilen. Sie brachte dem sadistischen Serienmörder Peter Kürten 1929 den Ruf des „Vampirs von Düsseldorf“ ein. Neun Morde hatte er begangen, meist an Kindern und Frauen. Hinzu kamen eine Reihe von Raubüberfällen und Mordversuchen, mit denen er die Bevölkerung des Rheinlands in Angst und Schrecken versetzte. Die Hinrichtung erfolgte am 2. Juli 1931 durch die in Köln stationierte Guillotine. Die bis dahin unbekannte Handakte des Richters wurde im April 2023 dem Landesarchiv NRW am Duisburger Innenhafen übergeben. Sie enthält Originalbriefe, Fotos und Verhörprotokolle des Serienmörders aus der Haft.
Alltagskriminalität
Neben diesen spektakulären Kriminalfällen geben die Polizeimeldungen in den Duisburger Medien auch Hinweise auf die „normale“ Alltagskriminalität, die mit der Zeit der Not und des Elends einherging. Raub, Diebstahl, Betrug, Vandalismus, Urkundenfälschung und Glücksspiel gehörten oft zur Überlebensstrategie. Am 28.2.1926 beklagte die Presse „die Verwilderung und Verwahrlosung der arbeitslosen Jugend, die einen Hort unruhiger und schädlicher Elemente bildet“. Zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit wurde die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten gefordert. Metall-, Lebensmittel- und Fahrraddiebstahl, Gewalt, Betrug und Prostitution bestimmten den Alltag vieler Jugendlicher. Die Rhein- und Ruhrzeitung vom 7.9.1923 kritisierte das anstößige Benehmen junger Burschen und Mädchen auf der Straße sowie in öffentlichen Lokalen und sah einen engen Zusammenhang mit der steigenden Jugendkriminalität.
Straßenkämpfe und Messerstecherei
Auch in Duisburg zeigte sich Ende der Zwanziger Jahre eine zunehmende Tendenz, politische Auseinandersetzungen auf der Straße auszutragen. Am 20. Oktober 1929 berichtete die Presse von einer Messerstecherei und Schlägerei zwischen Mitgliedern des rechtsgerichteten Wehrverbandes „Stahlhelm“ und politischen Gegnern. Der NSDAP-Ortsgruppenleiter Heinrich Bauschen war tags zuvor als Führer des SA-Sturms 85 bei einer „Saalschutzaktion“ durch einen Messerstich schwer verletzt worden und noch während der Operation im Diakonenkrankenhaus verstorben. Er galt den Nationalsozialisten als „Blutzeuge“. Ihm zu Ehren wurde die Köhnenstraße 1933 in Bauschenstraße umbenannt. Nach dem 8. Mai 1945 hieß die Straße wieder Köhnenstraße. Radikalisierung und Gewalt nahmen nach der Weltwirtschaftskrise zu. Die Zuspitzung der politischen Lage führte Anfang 1932 zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen der Hitlerjugend und der kommunistischen Jugend, berichtete der „Duisburger Merkur“.
Antisemitismus
Lässt man die Nachrichten der Zwanziger Jahre Revue passieren, so fällt der zunehmende Antisemitismus auf, der sich wie ein roter Faden durch die 14 Jahre der Weimarer Republik zieht. Am 10. September 1926 kam es in Duisburg zu einer antisemitischen Demonstration, als eine Gruppe von 54 Männern des Jugendstahlhelms antijüdische Parolen brüllend durch die Kaiser-Wilhelm-Straße zog, wie der „Duisburger Merkur“ in seiner Ausgabe Nr. 6 berichtete. Am 10. März 1927 wurden der jüdische Professor Theodor Lessing und seine Freunde nach einem Vortrag auf einer Veranstaltung der Deutschen Friedensgesellschaft von einer großen Zahl mit Knüppeln bewaffneter Nationalsozialisten und Stahlhelmer verfolgt. Mit heftigen antisemitischen Beleidigungen stürzte sich die Horde auf Professor Lessing. Freunde und Begleiter, die ihn schützen wollten, wurden verletzt. Überforderte oder unwillige Ermittlungsbehörden und eine Justiz, die teilweise offen mit den Tätern sympathisierte, spiegeln die damalige Situation wider. Die Spirale der Gewalt setzte sich Jahre später fort: 1933 wurde Theodor Lessing in der Tschechoslowakei von drei Nationalsozialisten ermordet.
Die medialen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen haben sich geändert, aber die genannten Beispiele machen deutlich, dass Duisburg vor rund 100 Jahren kein Ort mit weniger Kriminalität war.
Text: Harald Küst, Redaktion: Robin Richterich
Quellen und Literatur
Zeitungsportal NRW, https://zeitpunkt.nrw
Rhein- und Ruhr Zeitung vom 26.6.1926
Duisburger Generalanzeiger vom 29. Juni 1926 Grütter, Melanie: »Verworfene Frauenzimmer«. Geschlecht als Kategorie des Wissens vor dem Strafgericht, transcript 2017
Duisburger Merkur, 6. Ausgabe, Seite 6 und 8, Berichterstattung über die Weimarer Republik
Deutschlandfunk, Emil Julius Gumbel, engagierter Chronist der politischen Morde in der Weimarer Republik
Rheinische Post vom 12.4.23, Kürten, Fotoserie aus der Handakte des Richters
Rheinische Post vom 21.8.23, Geschichtsserie, Mordtaten und Verbrechen
Die Straßenbenennungspraxis in Westfalen und Lippe während des Nationalsozialismus. Online-Datenbank der Straßenbenennungen 1933-1945. Eintrag Heinrich Bauschen, https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/nstopo/strnam/Begriff_237.html