„…und ich werde heute die Wahrheit darüber sagen!“
Ein Interview mit Walter Kaufmann
Am 15. April dieses Jahres verstarb mit dem Schriftsteller Walter Kaufmann wahrscheinlich einer der letzten Duisburger Holocaust-Überlebenden.
Walter Kaufmann (*1924) war Adoptivsohn von Johanna und Dr. Sally Kaufmann, des letzten Vorsitzenden der liberalen jüdischen Gemeinde Duisburg. Er war Schüler am Steinbart-Gymnasium und erlebte die Radikalisierung der antijüdischen Maßnahmen des NS-Regimes als Kind und Teenager bis zum Pogrom 1938.
Im Januar 1939 schickten ihn seine Eltern mit einem Kindertransport nach England und retteten ihm damit das Leben. Im Anschluss versuchten auch sie energisch auszuwandern bzw. zu fliehen; ihre Bemühungen hatten jedoch keinen Erfolg. Ihr Leben endete im Oktober 1944 im Vernichtungslager Auschwitz. Zu diesem Zeitpunkt befand sich ihr Sohn im 14.000 Kilometer entfernten Australien. 1955 kam Walter Kaufmann erstmals wieder nach Duisburg, um sein Elternhaus aufzusuchen; dessen neue Besitzer begegneten ihm aber mit Ablehnung. 1957 zog der inzwischen zum Schriftsteller gereifte Kaufmann nach Ost-Berlin. Er wollte in einem sozialistischen Deutschland leben, blieb aber australischer Staatsbürger.
Mit Duisburg, der Stadt seiner Kindheit und Jugend, verband ihn ein ambivalentes Verhältnis, das einerseits mit den schmerzhaften Erinnerungen an die ermordeten Eltern und dem zwangsverkauften Elternhaus, der Flucht und den Kindheitserinnerungen zusammenhing. Anderseits entstanden im Kontext der Aufarbeitung der lokalen NS-Geschichte Jahrzehnte später Freundschaften zu einem Kreis von Duisburger/innen, die ihn zu Lesungen einluden.
Im Jahr 2015 konnten wir Walter Kaufmann im Rahmen des Begleitprogramms zur Ausstellung „Jüdisches Leben in Duisburg von 1918 bis 1945“ für ein Zeitzeugengespräch mit Publikum und für ein ausführliches Interview gewinnen. Ausschnitte aus dem Interview, geführt von dem Historiker Dr. Ludger Heid und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter am Zentrum für Erinnerungskultur Robin Richterich, stellen wir jetzt erstmalig der Öffentlichkeit zur Verfügung. Kaufmann berichtet in den Interviewpassagen über seine Kindheit und Jugend in Duisburg, seine Familie und seine Schulzeit, aber auch über antisemitische Anfeindungen, fehlende Solidarität von Nachbarn und Bekannten sowie die Pogromnacht vom 9. November 1938, die letztlich den Ausschlag gab für seine Flucht aus Deutschland.